Foto: Lucia Kotikova und Claudius Körber © Yoshiko Kusano
Text:Detlev Baur, am 27. März 2025
Stefano Massinis „Eichmann – wo die Nacht beginnt“ wurde in Bern erstmals in einem deutschsprachigen Theater gezeigt. Die Inszenierung von Roger Vontobel fragt am historisch präzise gezeigten Beispiel nach den katastrophalen Folgen von Verantwortungslosigkeit.
Gerade erst stand Adolf Eichmann, der logistische Organisator des in deutschem Namen verübten millionenfachen Massenmords an Juden, im Mittelpunkt eines Theaterabends am Theater Oberhausen. Eichmanns Prozess 1962 in Jerusalem, der seiner Hinrichtung vorausging, führte zu einer umfassenden Dokumentation seiner Taten und seines Denkens. Gerade in einer Gegenwart, in der die zweitgrößte Partei im deutschen Bundestag den Holocaust systematisch kleinredet, ist dieses Gedenken aktuell notwendig.
Fiktiver, historisch recherchierter Dialog
An den Bühnen Bern fand nun eine weitere Eichmann-Premiere statt. Der italienische Dramatiker Stefano Massini lässt in „Eichmann – wo die Nacht beginnt“ die jüdischstämmige Philosophin Hannah Arendt mit Eichmann zusammentreffen. Arendt war Prozessbeobachterin in Jerusalem und schrieb anschließend das Buch „Eichmann in Jerusalem“, in dem sie auch den (damals sehr umstrittenen) inzwischen prägenden Begriff der „Banalität des Bösen“ prägte. Massinis Stück nutzt Aufzeichnungen von bzw. über beide für einen „fiktiven Dialog“, denn sie haben „nie miteinander gesprochen“, wie Claudius Körber (Adolf Eichmann) und Lucia Kotikova (Hannah Arendt) zu Beginn unisono feststellen.
Die deutschsprachige Erstaufführung des Dialogs findet auf einer kleinen provisorischen Bühne in den Vidmarhallen statt, dem Domizil des Schauspiels. Regisseur und Schauspieldirektor Roger Vontobel platziert mit Joanne Klopp (Bühne) das Publikum auf Stühlen und Tribünen um die kreisförmig enge Spielfläche herum. Das Stück wird zu einem nicht genauer definierten Austausch der Argumente, soll laut Arendt keine Gerichtsverhandlung darstellen, pendelt zwischen Verhör, Befragung und Vortrag. Im Mittelpunkt der Kleinbühne hängen Leuchtstoffröhren, die Verhöratmosphäre schaffen, aber auch einen seltsamen Heiligenschein andeuten. Glücklicherweise versuchen weder Massini noch die Berner Darsteller:innen schillernde Charaktere oder eine spannungsvolle Gesprächsdramaturgie aufzubauen.
Andere Perspektive, gleiches Grauen
Dennoch bleibt das Spiel nicht im Ungefähren, zu konkret und erschütternd sind die Fakten im Hintergrund des Dramas. Lucia Kotikova spielt das Nach-Denkende eines über das organisierte Massaker fassungslosen Menschen aus, Claudius Körber zeigt einen Mann als Täter, der in der Defensive ist, sich jedoch auch erklären möchte. Über die Horror-Arbeitsbiografie Eichmanns entwickeln die beiden in knapp zwei Stunden in großer Nähe zum Publikum, streifen seine persönliche Konditionierung als Hochstapler, der sich „Ingenieur“ nennen ließ und Kenntnisse der jüdischen Kultur vorgetäuscht hatte. Der rote Faden bleibt jedoch die Suche Hannah Arendts nach dem Entstehen der bösen Tat, während sich Eichmann auf Pflichterfüllung und biographische Zufälle beruft und die Freude am geordneten Ablauf der „Endlösung“ durchblicken lässt.
Der grundsätzliche, fast nüchterne Zugang der Inszenierung zum Thema Holocaust mag bezüglich Mentalität und vor allem historischer Verantwortung des Landes besonders schweizerisch sein. In jedem Fall verbindet er sich gut mit der Textvorlage. Körber und Kotikova spielen weitgehend nüchtern Figuren, die das Publikum über ihren Dialog in Atem halten. Allerdings hätte eine professionelle Soufflage dabei helfen können, Wackler im ersten Teil der Premiere zu minimieren.
Im Hintergrund variiert der Geiger Sebastian Lötscher ein im KZ Theresienstadt entstandenes Lied; unaufdringlich und doch mit einer emotionalen Komponente. Der Berner Inszenierung gelingt es, dem Bösen nachzuspüren, der Denk-Faulheit, deren Ergebnis Gewalt und Mord waren – und immer wieder werden können.