Foto: Am Schluss mit Gasmaske: „Der Bau“ © Jakob Studnar
Text:Detlev Baur, am 21. Februar 2025
Der scheidende Intendant Ulrich Greb inszeniert am Schlosstheater Moers Kafkas Erzählung „Der Bau“. Es entsteht eine szenische Installation über seelische Verarmung und Angst als selbstzerstörerischen Antrieb.
Ein Wesen verbuddelt sich in der Erde, lobt seinen unterirdischen Bau und ist doch nicht wirklich glücklich. Ist die Sicherheit stabil, genügt ein großer „Burgplatz“, wäre es nicht leichter als „Wanderer“ im Wald zu leben – sind einige der beunruhigenden Fragen, welche die bemühten Lobeshymnen auf das eigene Bauwerk konterkarieren. Schließlich verstärkt ein Geräusch die Sorge des Erzählers: Ist da ein anderes Tier am oder gar schon im Bau?
Selbstgespräch auf vier verteilt
Dieses Selbstgespräch konnte Kafka nicht vollenden, der Schluss schlägt dennoch eine beunruhigende Brücke ins Heute. Das Belauern des unsichtbaren Feindes scheint bei diesem keinerlei Reaktionen auszulösen: „Aber alles blieb unverändert. “ Die Beschreibung der inneren Unruhe, der Sehnsucht nach „Stille“, die wiederum sehr nah an einer Grabestille liegen dürfte, scheint eine geradezu prophetische Psychoanlyse Kafkas für unsere aufgewühlte, sich in vielem selbst betrügende Gesellschaft zu sein. Dabei ist der Text jedoch völlig undramatisch, es gibt nicht nur keine anderen Figuren, sondern im Grunde auch keine Entwicklungen, auch abgesehen von Rückblicken auf Arbeiten am Bau oder kleine Ausflüge in die Umgebung keinerlei Handlungen.
Konsequenterweise konstruieren Regisseur Ulrich Greb und sein vierköpfiges Ensemble am Schlosstheater Moers keine Figuren oder Handlungsstränge. Die Bühne (Birgit Angele) besteht im Wesentlichen aus durchsichtigen Plastikstreifen, die von einem Wellbechdach auf den Boden herunterhängen und so eine Art flexibler, durchsichtiger Wand bilden. Matthias Heße, Leonardo Lukanow, Ludwig Michael und Marissa Möller stecken jeweils in Fatsuits (Kostüme ebenfalls von Birgit Angele), wirken damit und unter Felljacken halb animalisch, halb unförmig menschlich, zumal sie auch Schmuck und zum Teil mehrere Armbanduhren tragen.
Die Raffgier ist den vieren gemeinsam, besonders deutlich wird sie, wenn unter der Haut von den anderen lange hautfarbene Nylonstrümpfe herausziehen, und bei sich selbst unter den Wanst stopfen. Interaktionen oder gar Beziehungen entwickeln sich jedoch nur phasenweise. Der Text ist aufgeteilt; mit einer mobilen und einer an der Decke installierten Videokamera (Video: Felix Hacker) filmen sich die Plastikland-Bewohner selbst und sind dann auf der Rückwand hinter der Wohnstätte verschwommen zu sehen.
Sehnsucht nach Stille
Obwohl nur wenig Musik eingespielt wird – aus Verdis „La traviata“ oder Technosounds – ist dieser „Bau“ sehr musikalisch komponiert. Die inneren Stimmen ergänzen sich, relativieren einander, widersprechen sich selten. Die seelischen Pendelbewegungen des abgestumpften Ich sind durch szenische Rhythmuswechsel variiert, die tumben Körper bewegen sich tänzerisch (Choreografie: Alessia Ruffolo), verheddern sich in den Plastikstreifen und entkommen zuweilen auf die freie Bühne, wo sie zwischen Lust auf Freiheit und Angst vor Ausgestellt-Sein schwanken. Immer scheint aber durch die szenische und akustische Komposition die innere Zerrissenheit zwischen vermeintlicher Zufriedenheit und fortwährender Sorge vor anderen Wesen auf.
„Das schönste an meinem Bau ist aber seine Stille“, ist der zentrale Satz der Inszenierung. Er wird prompt konterkariert von Verdis Walzerklängen. Die Stille ist das Leitmotiv der anderthalbstündigen Inszenierung. Im Finale erklingt eine KI-erzeugte kindliche Stimme; sie spricht einen Brief Kafkas, in dem er die Kraft leiser Stimmen rühmt. Und ein Unbehagen am Werk des Baus der anderen artikuliert.
So gelungen und stimmig diese Umsetzung ist: Die hervorragend gespielten und untereinander abgestimmten vier Darsteller:innen kommen dem Publikum nicht wirklich nahe, bleiben meist in ihrer Welt der Selbstgefangenschaft, verschwommen hinter den Kunststofffäden. Das figurenlose Spiel regt an zur Textreflexion, ist aber vielleicht mehr Installation als Inszenierung.