Foto: Janko Kahle (Kohlhaas) auf dem Pferd und (v.l.n.r.) Daniel Stock, Birte Schrein und Jacob Z. Eckstein © Matthias Jung
Text:Andreas Falentin, am 15. Februar 2025
Leidenschaftliche Erzählung trifft heutige Diskussion: „Kohlhaas (can#t get no satisfaction)“ am Theater Bonn ist eine stimmige Verbeugung vor dem Genie Kleist.
„So kann es nicht enden! Hilfe! Hilfe!“, schreit am Ende Waldmann, Kohlhaas‘ Gehilfe. Er spricht zum Publikum, denn seine Mitspieler tragen selbst Pferdeköpfe und räumen die Bühne auf – sie arbeiten und reden nicht mehr. Michael Kohlhaas hat seinen Frieden gemacht mit der Welt, hat endlich Recht bekommen und ist mit dem Tode bestraft worden, ist aus der Welt geschieden, hat aber diese Welt nicht erlöst. Aber Kleists Welt bedarf dringend einer Erlösung.
Rechts und links auf der sonst leeren Bühne stehen zwei mehrstufige, aus Puzzleteilen gebildete Podeste, gekrönt von Pferdestandbildern (entworfen von Robin Metzer). Hinten hängt eine große Kette herab. In diesem dunklen Raum erzählen fünf Schauspieler:innen Kleists Erzählung, gewandet von Florian Kiehl in historisch anmutende Schnitte in Schwarz-Weiß-Optik mit vielen hübschen und bunten Details. Ja, sie erzählen tatsächlich die Kerngeschichte von „Kohlhaas“ – leidenschaftlich und am Anfang etwas ungelenk.
Ungelenke Erzählung
Der Pferdehändler Kohlhaas und seine Truppe reiten à la Monthy Pythons „Ritter der Kokosnuss“ im Kastagnetten-Galopp über die Bühne, das machen sie den ganzen Abend über. Dann werden sie von einem gelangweilten Junker gestellt, der unrechtmäßig einen Passschein verlangt und zwei Pferde zum Pfand fordert. Sie und der Knecht, hier: die Magd, Herse werden vom Junker und seinen Leuten misshandelt. Kohlhaas verklagt den Junker und wartet – auf der Bühne extrem lange ausgespielt – auf Antwort.
Danach spricht Lisbeth (Birte Schrein) mit ihrem Mann Kohlhaas, eine Stimme von Gefühl und Vernunft, die das große Ganze im Blick hat. Der Kohlhaas dagegen ist hart, wütend, sieht nur noch das eigene Unrecht. Janko Kahle macht das gut, aber es bleibt zu wenig. Sein Kohlhaas wird nie zum Menschen, bleibt immer Rächer. Als Lisbeth bei einem Versuch, ihm zu helfen, stirbt, schreibt er im Video seine Trauer auf eine Tafel, aber seine Trauer erscheint nicht im Spiel. So fehlt der Inszenierung eine entscheidende Stimme. In diesem Gespräch wird die Handlung erstmals angehalten – durch eine Diskussion. Das eine befeuert das andere, das ist die Richtschnur der Inszenierung von Rebekka David.
Feurige Diskussionen
Die zweite Diskussion findet statt – zwischen Waldmann (Daniel Stock ist durch Energie und Charme so etwas wie der Mittelpunkt des Ensembles), Herse (Karolina Horster) und einem Küchenknecht des Junkers (Jacob Z. Eckstein) – nach der Schlacht gegen den Junker und seine Truppen. Es geht um Recht und Unrecht. Ist es recht, wenn Unrecht mit Unrecht begegnet wird? Oder mit Recht? Was muss passieren, wenn das Recht nicht mehr funktioniert? Und es geht auch ein wenig um Oben und Unten, um Mann und Frau. Die „Mittlerin“ (nochmals Birte Schrein) tritt auf, im heutigen, schwarzen Anzug, und spricht von Volkes Wille, von Kants kategorischem Imperativ und demokratischen Prozessen. Sie sucht mit den auf der Bühne Anwesenden nach einem Ausweg. Die Diskussion hat die Erzählung erstickt – und damit die Geschichte. Wir sind im Heute, in unserer Demokratie, die scheinbar nicht mehr gut funktioniert, aber alternativlos ist. Danach kommt nur noch die Schlacht, eine Kette fällt von der Decke, die Puzzle-Teile bedecken den Bühnenboden.
Kleists Welt
Kleists Welt ist nah dran an unserer. Das zeigen Rebekka David und ihr Ensemble entschlossen. Mit der schwierigen Sprache des Autors wird sehr sorgsam umgegangen. Sie ist verständlich, ihre Schönheit wird hörbar. Ein Höhepunkt dabei ist der Luther-Monolog (ein drittes Mal: die grandiose Birte Schrein). Auch die Diskussion ist im Kleist-Stil gehalten, Wortspiele und Metaphern werden ausgestellt, weitergedreht und mit heutigen Versatzstücken („Zack!“) versetzt. Hier ist die Inszenierung sehr genau. Einen Ausweg aber gibt es nicht, nicht für Kohlhaas, nicht für Kleist, nicht für uns.