Foto: Lisa Guth, Karin Enzler, Alexander Swoboda und Ferdinand Lehmann © Jörg Landsberg
Text:Detlev Baur, am 15. Februar 2025
Am Theater Bremen macht Regisseur und Autor Felix Krakau aus Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ ein konzentriertes Spiel um Recht, Wut und eine zerbrechende Gesellschaft. Das gelingt so aktuelles wie zeitlos.
Kleists Novelle „Michael Kohhaas“ spiegelt grob gesprochen den Übergang von ungeregelter absolutistischer Fürstenherrschaft zu einem von der Aufklärung geprägten Rechtssystem. Der Pferdehändler Michael Kohlhaas rastet aus, weil die launische Ungerechtigkeit eines Junkers von Fürstenseite zunächst gedeckt wird. Der Text fasziniert die Theater schon lange, hat immer wieder Solo-Abende inspiriert. (Siehe auch das Porträt des Schauspielers Jonas Dumke in unserem nächsten Heft, das am 17. März erscheinen wird.) Derzeit ballen sich die „Kohlhaas“-Inszenierungen (mit kleinerem Ensemble) auffällig: Nach Premieren in Osnabrück, Halberstadt und Stuttgart gab es nun am selben Tag einen „Kohlhaas“ in Bonn und einen in Bremen.
Gerahmter Kleist
Im Kleinen Haus des Theaters Bremen konzentriert Felix Krakau die Novelle, die sich bei aller sprachlicher Präzision im zweiten Teil motivisch doch sehr in die Breite zieht. Und er verbindet in „Kohlhaas (No Limits)“ die Geschichte eines „der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ mit unserer Gegenwart, ohne sie zu verbiegen.
Die „Kleist-Crew“ besteht aus vier Darsteller:innen: Zunächst stecken sie den organisatorischen und rechtlichen Rahmen ab: Handys aus, keine Hieb- und Stoßwaffen, eine Überprüfung der Anwesenheitsliste aus Datenschutzgründen doch besser nicht. Die Erzählung ergibt sich aus der Vorstellung fürs Publikum und einer ersten Diskussion im Team. Sie erfolgt dann teils chorisch, teils im Übergang in vier Hauptpersonen: Kohlhaas (Ferdinand Lehmann), sein Knecht Hirse (Alexander Swoboda), seine Frau Lisbeth (Lisa Guth) und den Gegenspieler Junker Wenzel von Tronka (Karin Enzler).
Ähnlich wie in seinem „Faust“ am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf gelingt Krakau und seinem Team die Rahmung eines klassischen deutschen Textes. Er bringt ihn – ohne auf Insiderwissen zu setzen – auf den Punkt, ohne ihn zu bagatellisieren, schafft also eine szenische Einführung in „Michael Kohlhaas“ und stellt dessen Inhalt zugleich szenisch zur Debatte.
Schlüssige Teamarbeit
In der Abstimmung der eng miteinander verzahnt agierenden Darsteller:innen ist noch etwas Luft nach oben; auch ihre Kontakte mit dem Publikum wirken etwas zaghaft. Die Inszenierung kann also durchaus etwas reifen. Beeindruckend ist allerdings schon jetzt das Ineinander von Spiel und anderen Elementen der Inszenierung, denn so entwickelt sich insgesamt weit mehr als ein Nachspiel der Novelle: Die neutralen wie vieldeutigen Kostüme von Jenny Theisen mit Jacken zwischen Pferdechic (samt „Justice“ in Silberaufdruck) und Bomber-Martialität, sowie Hosen zwischen historisierend edel, Arbeitskleidung und SciFi-Look tragen ebenso zum stimmigen Gesamtbild bei wie die Lichtstimmungen und Spots (Licht: Marius Lorenzen, Lichtkonzept: Florian Schaumberger).
Die Videos auf meist leerer Bühne (beides: Florian Schaumberger) zeigen ein surreal futterndes Pony während der Schilderungen der skurrilen Gerichtsverrenkungen durch die Crew. Meist sind aber Farbstimmungen auf die Leinwand projiziert, vor denen die Akteur:innen, vor allem Kohlhaas, als Schattenspieler erscheinen. Die Musik von Timo Hein legt einen unaufdringlichen Klangteppich unter die Sprache und dramatisiert die Zuspitzung rhythmisch.
Wenn bei der finalen Aufarbeitung der Kohlhaas-Verwerfungen in der Vierergruppe Schweinwerfer von der Decke stürzen und sich am Boden Nebel breit macht, entsteht das beeindruckende Bild einer verunsicherten Gesellschaft, das Kleists Sprachkunst durch starke Bilder emotional erweitert. Am Tag, als der amerikanische Vizepräsident in München zeigte, wie bedrängt unser von der Aufklärung geprägtes Rechtssystem ist, und wie sehr dieses populistische Demokratieverächter störende System unter zunehmenden Druck gerät, ist diese Bremer „Kohlhaas“-Variante ein starker Beitrag des Theaters. Die Erzählung des Wutbürgers, der aus gutem Grund die Vernunft verliert – übrigens durch Gerichtsurteile gegen den Junker und gegen sich selbst zumindest juristisch bei Kleist noch eine Art happy ending erhält –, ist noch nicht zu Ende erzählt.