
Film: Bolero
Foto: „Bolero”-Filmplakat © X-Verleih Text:Andreas Falentin, am 18. Februar 2025
Der Film „Bolero” von Anne Fontaine ist ein akustisch ausgefeiltes Künstler-Porträt über den französischen Komponisten Maurice Ravel. Die explosive Werk-Genese stellt die Entstehung des berühmten Orchesterstücks fast als Betriebsunfall dar.
Der Anfang frappiert: Maurice Ravel trifft in einer Maschinenhalle die Tänzerin Ida Rubinstein – ihre Schuhe eröffnen den Film in Großaufnahme. Er spricht von Rhythmus und Moderne, wir hören durch den Maschinenlärm Fetzen der „Bolero“-Musik. Danach ist der Vorspann optisch und akustisch vollgestopft von möglichen (und unmöglichen) „Bolero“-Versionen. Wer sich auf eine scharfe Skizzze über die Nahtstelle von Romantik und Moderne, die die 20er Jahre in Paris waren, vielleicht auch über die kulturhistorische Bedeutung des Kunstwerks „Bolero“ freut, wird in dem Film enttäuscht. Denn das hat Anne Fontaine mit ihrem Künstler-Porträt nicht vor. Obwohl sie die akustische Spur wieder aufnimmt. Subtil gestaltet hören wir durch das Komponistenohr, werden Alltagsgeräusche wie Kirchenglocken, eine schnurrende Katze, Vögel im Wald oder immer wieder eine tickende Uhr als musikalisches Material des Komponisten deutlich gemacht.
Konventionelles Künstler-Porträt
Der Rest ist ein konventionelles Künstler-Porträt, ein etwas langatmiges Spiel mit Distanz, durch die Bank mit sehr guten Schauspieler:innen besetzt: vor allem Raphaël Personnaz (Ravel) und Jeanne Balibar (Ida Rubinstein). Auch Ravel selbst wird als Mann von Distanz dargestellt, in seiner Beziehung zu Frauen – es gibt viele offene und verdeckte erotische Dreiecke – und in seiner Beziehung zur Musik. Das eigentliche Problem des Films ist Ravels Biografie: Sie ist schlecht dokumentiert. Er war nicht verheiratet, hatte keine Kinder, seine Briefe erzählen viel zur Musik und wenig über Leidenschaften oder Affären. In der Wissenschaft geht man von nicht geouteter Homosexualität aus.
Anne Fontaine versucht, diese Wissenslücke mit einer platonischen Liebesbeziehung zu Misia Sert zu füllen. Sie ist ein prominenter Name in Frankreich, galt als „Muse“ im Paris des frühen 20. Jahrhunderts, wurde von Toulouse-Lautrec und Vuillard gemalt, von Proust und Cocteau schriftstellerisch gestaltet, kannte Caruso, Picasso und Dhiagilew und hatte eine enge Beziehung zu Coco Chanel. Sie kannte auch Ravel, ihr Halbbruder war sein Mäzen und Ravel widmete ihr Musikstücke.
Aber der Film konstruiert eine nicht historisch belegte, platonisch-erotische Beziehung, die den Film in die Länge zieht. Zumal weder die kulturelle Vielfalt und die Künstler im Paris der 20er Jahre in den Mittelpunkt treten, noch Ravel über Männerfreundschaften charakterisiert wird. Und die hatte er ja durchaus, etwa mit dem Pianisten Ricardo Vines oder dem Komponistenkollegen Debussy. Doria Tellier gibt eine überzeugende Misia, aber ihre Figur und die Liebesbeziehung wirken nicht üppig genug für die 20er-Jahre. So wie die von Alexandre Tharaud eingespielte Klaviermusik zu wenig rebellisch ist und die Choreografie des „Bolero“ mit Ida Rubinstein eher konventionell daherkommt.
„Bolero“ als Betriebsunfall
Spannend wird es, wenn es um die Entstehungsgeschichte des „Bolero“ geht. Die Beziehung von Ravel zu Rubinstein ist das Erotischste und Kälteste, was dieser Film aufbietet. Auch, weil Maurice Ravel – durch den Stückauftrag getrieben – eine Musik schafft, die irgendwie nicht zu seinem restlichen Schaffen passt, fast als Betriebsunfall dargestellt wird. Hier gibt es einige scharf gezeichnete Figuren, wie der Kritiker Lalo, der vom Pianisten Tharaud gespielt wird.
Leider wird das Musikstück im Film nicht zur Gänze aufgeführt. Dafür gibt es einen Zusammenschnitt in der choreografierten Fassung. Der Epilog, der um Ravels ungeklärte Erkrankung kreist und die Distanz der Hauptfigur zu den Mitmenschen geschickt verknappt, zeigt noch einmal einen „Bolero“-Zusammenschnitt in Schwarzweiß, in dem der Tänzer François Alu durch das Orchester tanzt.
„Bolero“, 2024, R: Anne Fontaine, 120 Minuten, ist ab 6.3. in deutschen Kinos zu sehen.