Nathalie Mittelbach sitzt auf dem Boden, ihr Blick betrübt. Den Kopf auf ihrem Schoß gebettet, liegt Elisa Birkenheier im Brautkleid auf dem Boden.

Was sich zankt, das liebt sich!

Hector Berlioz: Béatrice et Bénédict

Theater:Theater Bremen, Premiere:09.02.2025Regie:Susanne LietzowMusikalische Leitung:Stefan KlingeleKomponist(in):Hector Berlioz

Am Theater Bremen versucht die Regisseurin Susanne Lietzow, Berlioz’ letzte Oper „Béatrice et Bénédict“ schauspielerisch aufzupeppen – leider auf Kosten der Musik.

Es ist ja wahr: Die Handlung von Hector Berlioz‘ letzter Oper „Béatrice et Bénédict“ ist von wenig ergreifender Schlichtheit. Berlioz hatte sich nach seinem Opus Magnum, den „Trojanern“, 1860 erstmals dem komischen Genre zugewandt – und einem Dramatiker, den er aufs Höchste verehrte: William Shakespeare. Was er sich allerdings aus dessen Komödie „Viel Lärm um nichts“ als Libretto zurechtgeschustert hat, legt von dieser Verehrung ein zweifelhaftes Zeugnis ab: Er ignoriert die verwickelte Intrigenhandlung um die Heirat von Claudio und Hero völlig und konzentriert sich ganz auf die Nebenhandlung um die beiden Titelhelden.

Und das geht so: Im ersten Akt zanken Bénédict und Béatrice wie die Kesselflicker, während Claudio und Hero einander liebestrunken in die Arme sinken; im zweiten Akt, nach einer kleinen Intrige der Familienbande, entbrennen sie in Liebe zueinander. Das Finale: doppeltes Liebesglück, doppelte Hochzeit, doppelter Ehekontrakt, allseitiges Familienglück. Merke: Was sich zankt, das liebt sich!

Ein Kalauerfeuerwerk

Vom Gehalt des Librettos her wäre das Werk kaum einer Inszenierung wert. Doch Berlioz’ Musik hat es in sich: Der Komponist bemüht sich einerseits um italienische Leichtigkeit, ist aber keineswegs bereit, die Vielschichtigkeit seines Stils aufzugeben. Er schreibt eine komplexe Musik mit wunderschönen Ensembles und ein paar komödiantischen Pointen. Man versteht es gut, dass die Dirigenten diese Musik reizt. Und man versteht ebenso gut, dass die Regisseure an diesem Libretto zweifeln. In ihrer Inszenierung am Theater Bremen hat nun Susanne Lietzow das Heil in einer radikalen Überformung gesucht. Die 1968 in Innsbruck geborene gelernte Bildhauerin, Schauspielerin und erfolgreiche Schauspielregisseurin stellte den Sängern der Titelpartien jeweils ein Schauspieler-Double zur Seite und nutzte die daraus resultierenden Möglichkeiten, die eindimensionalen Gesangs-Psychogramme schauspielerisch zu kontrapunktieren, ausgiebig.

Außerdem hat sie sich von der österreichischen Autorin und Regisseurin Nina Maria Metzger neue Zwischendialoge schreiben lassen, die vor allem darauf zielen, die bei Berlioz in der Tat etwas flauen komischen Pointen zeitgemäß zuzuspitzen und das Thema der Geschlechterbeziehungen sozialpsychologisch aufzublättern. Das klingt nach einem interessanten Setting. In der Praxis aber scheitert das Crossover zwischen Schauspiel und Oper am mangelnden musikalischen Fingerspitzengefühl der Regisseurin und am allzu fasslichen Humor der Textautorin.

Im poppig bunten Flowerpower-Bühnenbild von Aurel Lenfert, animiert durch Petra Zöpneks Videos mit knickbeinig paradierenden Flamingos, und in den dazu passenden Kostümen von Jasna Bošnjak liefern die Figuren vor allem ein Kalauerfeuerwerk und knallige Hektik. Einige Pointen sind wirklich hübsch, etwa wenn bei der schon von Berlioz vorgesehenen Kabbelei zwischen dem Kapellmeister Somarone und seinem aufmüpfigen Chor der Musikdirektor des Theaters Bremen, Stefan Klingele, aus dem Graben emporklettert, um die Choristen auf der Bühne zur Räson zu bringen. Und Mirjam Rast, das Schauspiel-Double der Béatrice, bewegt sich toll und hat viel Bühnenpräsenz.

Die „Erosion des Anderen“?

Aber viel zu oft stört der schauspielerische Aktionismus die Entfaltung der Musik. Die Schauspieler sprechen oder rufen in die Musik hinein, kaum eine Schlusskadenz bekommt Zeit zum Verklingen, kaum ein noch so zartes Ensemble ist sicher vor lauten Nebenhandlungen. Und das ist schade. Denn Klingele dirigiert diese Musik in feiner Balance und Einfühlsamkeit. Und die Stimmen sind gut bis sehr gut. Ulrike Mayer singt die Béatrice mit kraftvollem Mezzo, manchmal vielleicht ein bisschen zu steif in der Linienführung. Oliver Sewell gibt dem Bénédict mit seinem hellen, etwas herben Tenor genau das richtige „französisch“-flexible Melos mit ins Bühnenleben; und Elisa Birkenheier ist eine Hero mit leuchtendem, schlankem Sopran, Arvid Fagerfjäll ein Claudio mit klar konturiertem Bariton. Auch der Chor kommt mit seinen anspruchsvollen polyphonen Aufgaben bestens zurecht.

Die Regie war nicht allzu wählerisch im Humor, das Publikum aber auch nicht und amüsierte sich prächtig. Insoweit war die Premiere ein Erfolg. Dennoch verfehlte sie gleich zwei Ziele: Einerseits konnte sie Berlioz’ anspruchsvolle Musik nicht angemessen zur Geltung bringen; andererseits gelang es ihr nicht, dem Thema der Geschlechterbeziehungen wirklich Tiefgang zu verleihen. Im Programmheft reklamiert Nina Maria Metzger als „Inspirationsquelle“ für die hier präsentierte „Neuinterpretation“ den Essay „Agonie des Eros“ von dem in Südkorea geborenen, heute in Berlin lebenden Philosophen Byung-Chul Han, der 2010 mit seinem Text „Die Müdigkeitsgesellschaft“ Aufmerksamkeit erregte. Ob sich die Zuschauer beim Lachen über die Bühnenkalauer wohl auch Sorgen gemacht haben über die von Byung-Chul Han diagnostizierte „Erosion des Anderen“?