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Theater als Hydra: Die dg-Jahreskonferenz in Nürnberg
Foto: Installation „PlayMOB gegen Rechts” © Karolin Berg Text:Karolin Berg, am 11. Februar 2025
Unter dem Motto „remember – resist – represent“ tagte die Dramaturgische Gesellschaft dieses Jahr in Nürnberg, im geschichtsträchtigen Reichsparteitagsgelände. Gerade an diesem Ort war die Frage nach dem Umgang mit den aktuellen gesellschaftlichen Krisen präsent.
In dem Monumentalbau ist es eisig kalt. Hier in der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg stapft eine Gruppe von 40 bis 50 Teilnehmenden der Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft durch einen schmalen Wandelgang. Dieser geschichtlich schwer zu (er)tragende Bau soll zu einem Ort der Kunst und Kultur werden; die mittleren Sektoren der Kongresshalle ab 2028 das Staatstheater Nürnberg nutzen, im inneren Feld eine gerade im Bau befindliche Bühne für Oper und Tanz bespielen. Die äußeren Sektoren flankieren Ermöglichungsräume für die freie Szene mit Werkstätten, Probenräumen, Ausstellungsflächen.
Teilnehmer:innen-Rekord
Genau in dieser Stadt, die mit ihrem Ballast der NS-Vergangenheit konfrontiert ist, trifft sich dieses Jahr am Schauspiel Nürnberg die Dramaturgische Gesellschaft zu ihrer Jahreskonferenz unter dem Titel „remember – resist – represent. Über Solidarität und Haltung in polarisierten Zeiten“. Wie lässt sich dem politischen Rechtsruck begegnen; wie in diesem erhitzten Umfeld für Solidarität, Demokratie und Vielfalt eintreten? Im Angesicht der mannigfaltigen Krisen wurde über Fragen des Erinnerns, des Widerstands und der Repräsentation in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft debattiert. Mitunter liefen sechs Panels parallel, so umfangreich war das Programm an diesen vier Tagen. Wie groß das Bedürfnis nach gemeinsamem Erfahrungsaustausch und Reflektionsräumen ist, zeigen die Anmeldungen zur Tagung: Ein Teilnehmer:innen-Rekord von über 250 Theater- und Kulturschaffenden.
In der Auftaktveranstaltung schildert Esther Holland-Merten, Vorstandsmitglied der DG, es gehe darum, nicht zu erstarren. Alles sei mehr, als nichts zu tun. Schauspieldirektor Jan-Philipp Gloger zitiert den Schriftsteller und Publizisten Max Czollek: „Erinnern heißt, die Gegenwart so einzurichten, dass sich Vergangenheit nicht wiederholt.“ und plädiert für Vernetzung, Kooperation und Zusammenstehen.
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Tagen auch im XRT, der digitalen Spielstätte im Schauspielhaus. Foto: Karolin Berg
Gedrückte Stimmung, realistischer Blick
Die Stimmung ist gedrückt, aber gefasst. In diesem Kosmos, wird einem bewusst, wie brenzlig die Lage erscheint, gekennzeichnet durch das Drohen rechter Strömungen. Man reflektiert, dass das, wofür Theater und Kulturinstitutionen genuin stehen, nicht mehr der Mehrheitsmeinung entsprechen könnte. Mit dieser Annahme zu arbeiten, ist beklemmend, aber vermutlich ein realistischer Blick. Die rosarote Brille, dass sich doch wieder alles in eine andere Richtung bewegen wird, ist, das merkt man an diesen Konferenztagen, abgelegt. Nun spricht man darüber, was das für die eigene Arbeit bedeutet, welche Strategien es gibt, damit umzugehen und etwas entgegenzusetzen.
Letztes Jahr in Wien stand die Tagung unter dem Motto „Was gibt’s denn da zu lachen?“ Diese Thematik scheint jetzt weit entfernt und doch schließt sich hier etwas zusammen: In der Gesprächsrunde „theatre under pressure. Herausforderungen von Theaterarbeit angesichts rechter Bedrohungen“ kristallisiert sich als eine These heraus, wie notwendig die Hinwendung zu populärem Theater wird, will man ein breites Publikum ansprechen. Die polnische Theaterkritikerin und Übersetzerin Iwona Uberman zeigt am Beispiel der Entwicklung der polnischen Theaterlandschaft, die seit acht Jahren unter einem Rechtsruck arbeiten muss, dass Theater als Begegnungsraum nur mit gegenseitiger Unterstützung der Kulturschaffenden weiter gelingen kann. Über diesen internen Zusammenhalt hinaus braucht es unbedingt das Publikum, ergo die Gesellschaft selbst, die für Kulturinstitutionen einsteht. Es verwundert nicht, dass rechte Kräfte besonders daran interessiert sind, genau solche Räume der Gemeinschaft zu besetzen oder zu delegitimieren. Und trotzdem sieht Ubermann Hoffnung: Das Theater sei eine Hydra, schlage man ihm einen Kopf ab, wüchsen zwei nach.
Immer wieder bricht in diesen Austausch- und Diskursraum aktuelle Politik ein. Fast stündlich rechnet man mit Neuigkeiten zum Stand der Koalitionsgespräche zwischen der rechten FPÖ und ÖVP in Österreich. Breaking News: Trump will die Leitung des Kennedy Centers for the Performing Arts übernehmen.
Welche Krisenkommunikation hilft?
Im Workshop „Krisenkommunikation für Kulturinstitutionen“ geht es darum, wie Theater Shitstorms vorbeugen können oder welche Strategien es gibt, diese zu händeln, um am Ende nicht keine Rufschädigung, zu erleiden – was wiederum eine Steilvorlage für rechte Delegitimationsrufe wäre.
Politische und gesellschaftliche Krisen sind eng verzahnt mit dem Themenkomplex Social Media. Augenfällig wird aber auch, dass sich die Theater am liebsten ganz aus Social Media raushalten würden. Keiner fühlt sich wohl auf diesem Terrain und Best-Practice-Beispiele, an denen man sich orientieren könnte, wie diese Plattformen von einem Theater virtuos und effektiv bespielt werden, fallen nicht ein. Der Referent Ralf Schlüter warnt jedoch eindringlich davor, sich von Social Media zu verabschieden, schließlich sei dies die neue dominante Öffentlichkeit, in der die Theater ihre Stimme nicht verlieren dürften.
Sicher scheint: Es stehen anstrengende Zeit bevor. Kulturschaffende und Theater sind sich bewusst, dass gerade enorme Dynamiken im Gange sind, sie Strategien für interne, externe, kleine und große Krisen entwickeln müssen. Sie als Institution und Kunstform Radikalisierung aber auch nicht wehrlos gegenüberstehen. Ein enorm wichtiges Austausch- und Vernetzungstreffen, dessen Themen so schnell nicht ad acta gelegt werden. Es bleibt zu wünschen, dass Allianzen dieser Konferenz nachwirken.
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Der neue Vorstand der Dramaturgischen Gesellschaft: Antigone Akgün, Irina-Simona Bârcă, Kerstin Grübmeyer, Esther Holland-Merten (Vorstandsvorsitzende), Jasmin Maghames, Hannah Lioba Egenolf und Michael von zur Mühlen. Foto: dg.