Thurza (Karis Thucker) steht in der Mitte des Opernchors am Galgen. Sie soll erhängt werden, während alle zusehen.

Mord und Raub im Zeichen pervertierter Religion

Ethel Smyth: Strandrecht (The Wreckers)

Theater:Mecklenburgisches Staatstheater, Premiere:07.02.2025Regie:Daniela KerckMusikalische Leitung:Mark RohdeKomponist(in):Ethel Smyth

Regisseurin Daniela Kerck inszeniert am Mecklenburgischen Staatstheater Ethel Smyths Oper „Strandrecht (The Wreckers)“. Dabei stellt sie besonders heraus, wie Religion zur Legitimationsgrundlage für immer schwerwiegendere Verbrechen werden kann.

Ethel Smyths auf umfangreichen historischen Recherchen beruhende Oper steht in Handlung und Musik unter beständigem Druck und permanenter Hochspannung: Die Bewohner eines Strandpiratendorfs harren auf Sturm, um bei gelöschtem Signalfeuer, Schiffe in Wind, Wetter und Dunkelheit zum Scheitern zu bringen. Sie planen die Wracks zu plündern und die Besatzung zu massakrieren. Ein wahrlich mörderisches Geschäft. Doch mit eingespielter Professionalität und reinen Gewissens betrieben.

Pasko, in Personalunion Vorsteher der politischen und kirchlichen Gemeinde, bietet seine ganze Autorität zur Rechtfertigung der Verbrechen als dem Herrgott hochwillkommene fromme Taten auf. Regisseurin Daniela Kerck präpariert heraus, wie der Prediger mit allergrößter Selbstverständlichkeit auf die verbrecherische Basis einen immer monströseren Überbau türmt: bis hin zur Proklamation der Dörfler zu Gottes auserwähltem Volk. Wenn nicht Strandpiraterie betrieben wird, so ist Gottesdienst. Die Routine, mit der die Leute ans verbrecherische Werk gehen und die religiöse Durchritualisierung des Dorflebens ergeben sich für Kerck aus beständiger Wechselwirkung. Fleißig werden Leichen entsorgt und Kirchenlieder angestimmt.

Außenseiterin und Außenseiter werden ein Paar

Beidem entzieht sich des Gemeindevorstehers junge Frau Thurza. Permanent kehrt sie den Boden. Keine Frage, Kerck lässt sie den Schmutz von Mord und Bigotterie fort- und das Große Reinemachen herbeiwünschen. Heimlich liebt sie den jede Beteiligung an den Verbrechen ablehnenden Fischer Mark. Doch so präzise Kerck ansonsten die gesellschaftlichen Verhältnisse und Mechanismen im Dorf beobachtet, die Beziehung dieser beiden Außenseiter tendiert bei ihr zum Stereotypen.

Wenn das Paar auf die Klippen vor Cornwalls Küste zusteuernde Schiffe durch Leuchtfeuer zu warnen sucht, darob vom dörflichen Mob gestellt und zum Tod verurteilt wird, kommt das packende Drama szenisch über Opernklischees kaum hinaus. Mag immer ein beinahe zu Tristan-Dimensionen ausgreifendes Liebesduett im Angesicht des nahen Todes die Spielleitung enorm herausfordern, es birst dennoch vor innerer und äußerer Dramatik und bietet eine Steilvorlage, von der Kerck eher sparsamen Gebrauch macht.

Für die bigotte Mörderbande stellt Hannah König eine bunkerartige Halle auf die Bühne. Die Verbrechergemeinde schottet sich darin von allem außer seiner Einkommensgrundlage ab, dem Meer. Astrid Steiners Videos überspülen des Bunkers hohe Wände mit Wellen und Gischt. Die Personnage steckt Andrea Schmidt-Futterer in tiefes auf Leben am Meer und unbestimmte historische Distanz anspielendes Schwarz.

Aufwühlend

Musikalisch nimmt der Abend ganz unbedingt für sich ein. Mark Rohde baut mit der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin auf gleichermaßen kompakten und massiven Klang. Da wüten Sturm und Wogen. Der „Fliegende Holländer“ klingt nach, „Peter Grimes“ voraus. Gesungen wird auf Deutsch. Eine annehmbare Entscheidung: Smyths zeitweiliger Lebensgefährte Henry Bennet Brewster schrieb das Libretto in französischer Sprache. Bei der Leipziger Uraufführung im Jahr 1906 wurde deutsch gesungen. Später wurde der Text vom Französischen ins Englische übertragen.

Sei dem, wie ihm sei: Den Chor des Hauses inspiriert Aki Schmitt zu enormer, oft wild durchtobter Klangpracht: ein Elementarereignis. Für Thurza bietet die charismatische Karis Tucker jene Courage auf, die sie auf ein Glück jenseits von Ehemann und gesellschaftlichen Erwartungen pochen heißt. Jede hochdramatische Hürde ihrer Partie kommt Tucker gelegen, um sie mit Wonne zu überwinden. Kaum zu meistern ist, was Smyth für Mark ersonnen hat: So muss denn Marius Pallesen das gesamte Spektrum zwischen liedhafter Innigkeit und Tristan-Attitüde ausmessen. Pallesen überzeugt vor allem mit dem heldentenoralen Anteil. Wenig beachtet die Regie die Rivalin um Marks Gunst, Avis. Der jugendlich-dramatisch grundierten Karen Leiber gelingt dennoch ein ansprechendes Rollenporträt. Gebieterisch verkörpert Brian Davis den Dorfvorsteher und Religionsverdreher Pasko.

Nach den Staatstheatern in Karlsruhe und Meiningen im vergangenen Herbst, beweist nun auch die Schweriner Produktion die Wirkungsmächtigkeit und Repertoirefähigkeit des Werks.