Foto: Die gnädige Frau (Martin Bringmann) ist zurück. Insa Jebens muss sich als Zofe einen Plan überlegen. © Martin Sigmund
Text:Manfred Jahnke, am 8. Februar 2025
Regisseur Thorsten Weckherlin steckt Jean Genets „Die Zofen“ in seiner Inszenierung am Landestheater Tübingen in ein Fernsehkrimi-Gewand. Eine Bereicherung, die ihre eigenen Schwächen mitbringt.
Einmal Provokation – immer Provokation? 1947 stehen in den „Zofen“ von Jean Genet die rituellen Rollenspiele, die die Verkehrung von Knecht und Herr in einer erotisch aufgeladenen Atmosphäre einüben, im Zentrum der Handlung. 2025 sind diese weiterhin von Bedeutung, finden sich aber in einem gänzlich veränderten dramaturgischen Kontext wieder. Deutlich wird dies in der Inszenierung am Landestheater Tübingen (LTT), die das Stück in einen „Surrealen Alptraum-Krimi“ – so der Ankündigungstext im Programmflyer – transformiert.
Stoff für einen Fernsehkrimi
Die Regie von Thorsten Weckherlin setzt gleich zu Beginn einen starken Akzent: In den Spiegel des Schminktisches projiziert er filmische Ausschnitte aus Eduard Zimmermanns „Aktenzeichen XY“. Die beiden Zofen Claire und Solange werden zum Paradebeispiel eines Verbrechens, das „von der mystischen und der erotischen Faszination, die immer vom Verbrechen und vom Verbrecher ausgeht“ (Zimmermann), lebt.
Tatsächlich lässt sich die Recherche eines Verbrechens mit dem Textmaterial von Genet generieren: Zwei Zofen haben ihren Herrn mit anonymen Briefen voller Diebstahlanschuldigungen ins Gefängnis gebracht und wollen sich nun an ihrer gnädigen Frau für die vielen Demütigungen rächen und ihr vergifteten Lindenblütentee verabreichen. Abgesehen von gelegentlichen Einblendungen von Schnipseln aus „Aktenzeichen XY“ kommt in Tübingen mit geringen Kürzungen der Urtext zum Vorschein. Aber dass das Geschehen nun mehr oder minder als Rückblende rekonstruiert wird, bedeutet zugleich den Verzicht auf emotionale Unmittelbarkeit, die nunmehr „erzählt“ und nicht mehr erspielt wird.
Erweiterter Spielraum
Allerdings setzt Weckherlin ein beliebtes Mittel als Ersatz ein: die Musik. Mit live vorgetragenen Songs und einem von Jörg Wockenfuß komponierten Soundtrack, der die Szenen atmosphärisch vorantreibt. Es entsteht eine merkwürdige Mischung, die einerseits auf emotionalen Ausdruck zielt, andererseits die Tendenz zum Showbiz in dieser Inszenierung hervortreibt. Vinzenz Hegemann hat dazu das szenische Ambiente eines feudalen Haushalts geschaffen: links ein großes rundes Liegepolster, rechts der Schminktisch mit einem großen runden Spiegel, drumherum viele Vasen mit Lilien. In der Mitte steht ein großes Regalgerüst, in dem auch der Zimmereingang eingelassen ist. In der unteren Reihe hängen offen die Kleider der gnädigen Frau. In den Regalen darüber sind in den Fächern große Tragetaschen eines Tübinger Modekaufhauses untergebracht. Auch die mondänen Kleider der Herrin – ebenfalls von Vinzenz Hegemann entworfen – sind mit solchen Einkaufstaschen von verschiedener Größe appliziert.
Zwischen Spiel und Realität
In einer raffinierten Lichtführung entwickelt sich ein „Fall“, in der sich die kriminellen Energien der Schwestern Claire und Solange nicht mit mystischer Faszination, aber mit „Psychokrieg“ verbinden. Wenn sie in ihren grauen Zofenkostümen verhuscht wirken, gewinnen sie in den Kleidern ihrer Herrin sofort Kontur. Insbesondere Franziska Beyer als Claire führt vor, wie stark ihre Figur von Verbitterung geprägt wird, die dann im Rollenspiel entschwindet, um dann wieder um so heftiger gegen die Welt um sich herum zu rebellieren. Beyer spielt das differenziert aus, bis zum Ende, als sich Spiel und Welt hoffnungslos miteinander vermischen. Dann trinkt Claire selbst im Kleid der gnädigen Frau den vergifteten Lindenblütentee. Aber, nicht ohne dann zum Mikrofon zu greifen, um mit ihrer Schwester Solange vital einen Song zum Abschied zu geben.
Insa Jebens ist Solange, die kleine Schwester. Sie spielt diese weniger verbittert. Jebens gibt ihrer Rolle eine Spur Naivität mit. In manchen Momenten kann sie noch staunen über das, was da geschieht. Das hat auch damit zu tun, dass sie sich als Jüngere nicht in die Skrupel der Älteren verstrickt. Einen großen Auftritt hat Martin Bringmann als die gnädige Frau in Harald-Glööckler-Maske, der sich gleich an das Publikum heranschmeißt und Autogrammkarten verteilt. Das macht Bringmann virtuos. So virtuos, dass die Krimistory in die Vergessenheit abzudriften droht. Das ist Show, in der die einstige Provokation des Spiels entschwindet.