Domen Križaj (Guercœur) und Claudia Mahnke (Giselle)

Die böse Saat der Volksverhetzung

Albéric Magnard: Guercœur

Theater:Oper Frankfurt, Premiere:02.02.2025Regie:David HermannMusikalische Leitung:Marie Jacquot

Die Oper Frankfurt zeigt Albéric Magnards „Guercœur” – ein Werk zwischen Oper, Oratorium und Mysterienspiel. Regisseur David Hermann zeigt uns Demokratie als fragile Sache, die Bühne von Jo Schramm verortet das nüchtern und irdisch.

Katastrophaler als unerfüllte Wünsche sind die erfüllten, weiß das Sprichwort. Die Titelfigur von Albéric Magnards musiktheatralischem Amalgam aus Oper, Oratorium und Mysterienspiel darf aus dem Totenreich unter die Lebenden zurückkehren.  Doch nur, um enttäuscht zu werden. Guercoeur muss mitansehen, wie seine Frau, die ihm ewige Treue geschworen hatte, ihn durch seinen Schüler ersetzt hat. Beinahe schlimmer noch: Der Adept verrät des Lehrers Kampf für Demokratie, Freiheit und Gleichheit und trachtet, sich als Diktator an die Staatsspitze zu putschen.

Indessen erweist sich das Volk als ebenso wankelmütig wie manipulierbar. Der Mob prügelt seinen einstigen Helden in neuerlichen Tod. Final begreift Guercoeur die Wiederkehr ins Leben als Irrtum, er fügt sich dem Gebot des Totenreichs und vergisst seine Biografie. Magnard als sein eigener Librettist schafft sich die Voraussetzung für eine Partitur, in der sich das musikalische Idiom Wagners mit vielfältigen französischen Anregungen verbindet. César Franck und Ernest Chausson klingen durch, mitunter gar Debussy und daher ein Vertreter des von Magnard eigentlich abgelehnten Impressionismus.

Demokratie als fragile Sache

In Frankfurt findet das um 1900 geschriebene, 1931 posthum in Paris uraufgeführte Werk nach seiner 2019 in Osnabrück erfolgreich über die Bühne gegangenen Wiederbelebung und einer Strasbourger Produktion im vergangenen Jahr seine paradigmatische Deutung. Regisseur David Hermann siedelt das zwar von Chorälen durchklungene, doch keineswegs christliche Jenseits nicht in irgendwelchen höheren Sphären an. Das Elysium ist ein irdischer Ort, freilich ein ganz anderer als die Wohnstätte der Menschen aus Fleisch und Blut. Doch mitten unter ihnen.

Nur, dass beide Dimensionen füreinander unsichtbar sind. Stupend ersinnt Hermann Guercoeurs Rückkehr ins fleischliche Wesen: Wenn dessen weißer Anzug mit grauer Farbe übergossen wird, zeigt sich die Titelfigur der „Masse Mensch“ angeglichen. Entsetzt und ohne die ihm entgegenschlagende Ablehnung zu begreifen, sieht sich der einstige Freiheitsheld von Frau, Schüler und Volk entfremdet. Guercoeurs Einwilligung ins Vergessen lässt weniger auf Einsicht denn Fatalismus schließen. Denn die Epoche der Demokratie hat sich mindestens vorerst erledigt. Das von Jo Schramm auf die Drehbühne gesetzte, den Bonner Kanzlerbungalow zitierende Heim des Vorkämpfers für des Volkes Rechte war einmal Programm. Nun macht sich der künftige Diktator darin breit.

AJ Glueckert (Heurtal; Hände schüttelnd, mit Bart) und der Chor der Oper Frankfurt. Foto: Barbara Aumüller

Wie dieser, zeigt sich das Parlament von Grund auf korrumpiert. Sein dem Tagungsort für den UN-Sicherheitsrat angenäherter Sitzungssaal stürzt in sich zusammen. Demokratie ist eine fragile Sache. An die bloße Selbstsucht der Wählenden appellierende Demagogen unterhöhlen ihr Fundament. Magnard bezieht sich auf Umtriebe seiner eigenen Zeit, der frühen Dritten Republik, in Frankfurt aber dringt die beklemmende Aktualität der Gefährdungssituation an den Tag.

Musikalisch überragend

Wie die szenische, so überzeugt auch die musikalische Seite. Den Chor des Hauses befeuert Virginie Déjos zur immer durchhörbaren Sakralität im Jenseits und diesseitig-heftigem Tumult in Volk und Parlament. Marie Jacquot bettet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester selbst massives Wagnerdräuen ins französische Klangidiom der Jahrhundertwende ein. Durchschlagskraft, runde Tongebung, Emphase und wohldosiertes Pathos bietet Domen Krizaj in der Titelpartie auf. Claudia Mahnke misst für Guercoeurs Witwe Giselle das Spektrum zwischen Lyrik und Dramatik aus. Ihren Geliebten Heurtal verkörpert AJ Glueckert mit heldentenoraler Verve und dem falschen Pathos des Volksverhetzers. Der im Jenseits tonangebenden Vérité verleiht Anna Gabler gebührende Autorität.