Foto: © Armin Smailovic
Text:Anne Fritsch, am 25. Januar 2025
Jan-Christoph Gockel inszeniert an den Münchner Kammerspielen eine durchgeknallte und blutrünstige Vampirkomödie. „Oh Schreck!“ basiert auf F. W. Murnaus Stummfilm „Nosferatu“ und beweist, wieviel Spaß inklusives Theater machen kann. Und dass der Sinn durchaus auch mal im Unsinn liegen kann.
Blut ist ja bekanntlich ein ganz besonderer Saft. Und an diesem Abend dominiert er das Geschehen in den Münchner Kammerspielen komplett. Wen wundert’s? Auf dem Programm steht „Oh Schreck!“, eine „Vampirkomödie“. Regisseur Jan-Christoph Gockel nimmt sich F. W. Murnaus Stummfilm „Nosferatu“ vor, mixt ihn mit dem Leben des Schauspielers Max Schreck, der im Film den Vampirgrafen Orlok spielte und mit Unterbrechung ungefähr 13 Jahre an den Münchner Kammerspielen engagiert war. Vor der Vorstellung kann das Publikum an der „Blutbar“ zwischen scharfem, süßem und alkoholfreiem Blut wählen; wer im „Gruselkostüm“ kommt, wird mit einem Geschenk belohnt. Kurz: Das Theater nimmt sich selbst nicht so ernst an diesem Abend, verspricht vielmehr ein Erlebnis der anderen Art. Und kleiner Spoiler, es verspricht nicht zu viel.
Das Theater: infiltriert von Vampiren
Auf der Bühne ein bronzener Bilderrahmen, der ans Bühnenportal des Jugendstil-Theaters erinnert. Julia Kurzweg hat einen Raum geschaffen, der ganz klar macht, worum es hier geht. Es gibt das Vorne, das alle sehen, und das Dahinter, das mit Drehung der Bühne auftaucht. In diesen verborgenen Gefilden des Theaters hausen die, die es seit langem infiltriert haben, die Vampire. Denn was Wolfgang, der Regisseur im Stück, der hier „Nosferatu“ inszenieren soll und dafür jenen legendären Max Schreck „ausgegraben“ hat, nicht weiß: alle Schauspieler:innen an diesem Theater sind Vampire. Einzige Ausnahme: Walther von der Hess (gespielt von Walter Hess), der sein Menschsein allerdings gut kaschiert und sich morgens brav in seinen Steinsarg legt, um nicht aufzufallen. „Aber was tut man nicht, um jeden Abend auf der Bühne leben und sterben zu können“, verrät er dem Publikum in seinem herzerwärmenden Prolog. Mit langem grauen Haar und in einen schwarz-silbernen Mantel gehüllt sieht er tatsächlich enorm vampiresk aus. Dass die Rolle des Orlok eigentlich ihm und nicht diesem ollen Max Schreck zusteht, versteht sich für ihn von selbst.
Katharina Bach, Johanna Kappauf. Foto: Armin Smailovic
Regisseur Wolfgang hat es unter diesen Umständen und mit diesem Ensemble alles andere als leicht. Sebastian Brandes spielt wunderbar naiv einen, der es allen Recht machen will und dem Haus den „dringend“ nötigen Erfolg bescheren soll. In himmelblauer Trainingsjacke wird er in den güldenen Rahmen projiziert, wie er gerade eine Video-Einführung macht („Transparenz-Offensive“!) und seine „grandiose Inszenierungsidee“ erklärt: „diesen Stummfilm als Stummfilm inszenieren“. Doch während er also den „Nosferatu“ als düsteres Puppenspiel auf die Bühne bringen will, schiebt sich zwischen den Szenen immer mehr Realität in die Proben.
Finale infernale
Intendant Dennis Dorn, gespielt von Dennis Fell-Hernandez, bekommt einen Wutanfall nach dem anderen. Regieassistentin Isabell (Leoni Schulz) macht zwar ihren Job, ist aber zunehmend frustriert, dass sie nicht endlich auch gebissen und als Vampirin von der schlimmen Welt da draußen erlöst wird. Und die Vampir:innen? Die spielen zwar einigermaßen brav mit, haben aber eben auch ihre individuellen Bedürfnisse: Claudia (Nadège Meta Kanku) ist gefrustet, weil sie auf ewig im Körper einer 13-Jährigen feststeckt; Vlad (Frangiskos Kakoulakis) hat auch mal Appetit aufs Publikum; Svetlana (Jelena Kuljić) sehnt sich zunehmend nach menschlicher Nähe und Kurt Erich (Michael Pietsch) ist irgendwie genervt von der Gesamtsituation. Immer wieder geistert auch der stumme (weil Stummfilm-Star) Max Schreck durch die Szenerie: Johanna Kappauf reibt lüstern ihre langen Fingernägel aneinander und verzieht das bleiche Gesicht zu gruseligen Fratzen, dass es eine Freude ist.
Kurz gesagt: Alles gerät aus den Fugen. Claudia fällt irgendwann blutrünstig über den Regisseur Wolfgang her, und schließlich taucht auch noch mit Holzpflöcken und Knoblauch bewaffnet Katharina Bach als Vampirjägerin und Theaterkritikerin Kristine Van Helsing auf, die sich in ihren Wortkaskaden und ihrer Liebe zu Max Schreck verliert. Höchstwahrscheinlich, dass der Vorwurf des blutleeren Theaters von ihrer Seite kam. Walther von der Hess dagegen arbeitet insgeheim an seinem großen Auftritt: Im Dentallabor Alpha-Bite lässt er sich Vampirzähne anfertigen… Wie das Ganze ausgeht? Wie es sich für einen derart überdrehten durchgeknallten Abend gehört: in einem ausschweifenden Fest. Blut und Bisse inklusive. Okay, die von Wolfgang geplante „Nosferatu“-Inszenierung ist es nicht ganz geworden, ein Erfolg aber könnte dieser Abend sehr wohl werden. Wie schon bei seiner Revue „Wer immer hofft, stirbt singend“ nach Alexander Kluge zeigt Jan-Christoph Gockel auch hier, wieviel Spaß inklusives Theater machen kann. Und dass der Sinn durchaus auch mal im Unsinn liegen kann.