Foto: Martina Struppek und Gaby Pochert sind mit dem falschen Fuß aufgestanden. © Martin Kaufhold
Text:Michael Kaminski, am 25. Januar 2025
Regisseur und Bühnenbildner Simon Solberg bringt am Saarländischen Staatstheater mit Rebekka Kricheldorfs Komödie „ Mehr Lametta am Meer“ Weihnachten unter Palmen auf die Bühne. Das Stück offenbart einmal mehr, dass familiäre Konflikte auch auf der anderen Seite der Erdkugel aktuell bleiben.
An Thailands Strand herrscht Aufbruchsstimmung. Evelyn, die Tochter Iris und Sohn Simon auf der Flucht vor den familiären Überforderungen des Christfests ins ferne Südostasien genötigt hat, freut sich unversehens, die Brut loszuwerden. Der des ehelichen Seitensprungs überdrüssige Gemahl hat sich angesagt. Die Kinderbuchautorin sieht daher einem zweiten Honeymoon entgegen. Auch Busenfreundin Ada wirkt nun deplatziert. Für sie alle hält die Autorin Rebekka Kricheldorf Lösungen auch jenseits konventioneller Glücksvorstellungen parat.
Ada, Witwe über 60, bildet mit dem um drei Jahrzehnte jüngeren Simon fortan ein Gespann zur Erkundung Thailands jenseits der Destinationen für den All-Inclusive-Tourismus. Tochter Iris steigt in den nächsten Flieger, um zur geliebten Katze heimzukehren und für sich neue Rituale abseits von Weihnachten, Hochzeit und Geburtstagen zu ersinnen. Leer geht allein Simons Partner Tim aus. Der Fitnesstrainer und frühere Prostituierte aus dysfunktionalen Verhältnissen begreift die unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen seiner eigenen prekären Existenz und der vom Luxus verwöhnten Denk- und Lebensweise des Art-Consultants Simon.
Liebe und Partnerschaft sind unter solchen Vorzeichen chancenlos. Denn Geld spielt in Kreisen eines Bildungsbürgertums, das zugleich Besitzbürgertum ist, durchaus eine Rolle. Selbst die postmateriellen Anwandlungen von Tochter Iris wollen finanziert sein. Die abgebrochene Studentin versorgt Obdachlose mit Heißgetränken und ergeht sich ansonsten in moralingesättigten Tiraden über die Verfehlungen von Eltern, Bruder wie dem solventen Teil der Menschheit insgesamt. Ganz erstaunlich, wie Kricheldorf der Tugendboldin dennoch halbwegs sympathische Züge abgewinnt. Letztlich gönnen Mutter, Ada und Publikum ihr die ökologische Nische, in der sie sich eingerichtet hat. Schon der Alibifunktion halber, die Iris für das pragmatische Umfeld übernimmt.
Eskalation und Versöhnung in Bilderbuchszenerie
Regisseur und Bühnenbildner Simon Solberg schafft Gelegenheit und Raum, damit sich trotz fernöstlicher Kultur ausagieren kann, was im heimischen Wohnzimmer kaum anders verliefe. Ob nun weihnachtliches oder sonstiges Bedürfnis nach vollkommener Harmonie, die Katastrophe pünktlich zum Fest ist vorprogrammiert. Beim Geschwisterpaar einschließlich des Rückfalls in infantile Schimpfkanonaden. Solberg serviert dieses alles leichtfüßig, eben eingedenk der Jahre hindurch familiär eingeübten Eskalationsstufen.
Tennis- und Handtuchschlachten übersetzen den Krawall unter’m heimischen Christbaum nach Südostasien. Immer wieder formiert sich das Ensemble geradezu tänzerisch, um sich im Wind- und Wogengebraus zu wiegen. Und ja, mitunter darf das Leben genossen werden. Flugs sind dann Liegestühle zu Surfbrettern umfunktioniert. Dies alles in einer Umgebung wie aus dem Prospekt eines Reiseveranstalters: Hotel und Terrasse in landestypischer Teakholzanmutung, Strand und Liegestühle mit Ausblick auf den Ozean und die daraus emporragenden bizarren Felsen. Inmitten der Hochglanzwerbung ficht die von Ines Burisch nach Alter und Profession, doch immer touristisch adäquat gekleidete Personnage ihre Sträuße aus.
Voller Witz und Verve nimmt das Ensemble die von Regie und Szenerie offerierten Steilvorlagen auf. Martina Struppek trumpft als von den weihnachtlichen Pflichtübungen immer wieder überstrapazierte und wider jede Solidaritätskundgebung mit dem Fest der Feste anschimpfende Evelyn mächtig auf. Ihrer Freundin Ada verleiht Gaby Pochert eine oft wohl lediglich vorgeschützte Verhuschtheit. Für Iris darf sich Verena Maria Bauer beredt und mit dem gut gefüllten elterlichen Konto als Rückversicherung in weltverbesserischer Attitüde sonnen. John Armin Sander lässt Simon zwischen elitärer Arroganz und Liebesbedürftigkeit oszillieren. Bei Jonathan Lutz legt Tim demonstratives Underdog-Gehabe an den Tag, um schließlich zu begreifen, wie deutlich limitiert bildungs- und besitzbürgerliche Empathie doch sein kann.