Die Mächtigen beobachten Falstaff (Stefen Scharf) per Videoüberwachung

An den Pissoirs der Macht

Ewald Palmetshofer: Sankt Falstaff

Theater:Residenztheater, Premiere:22.01.2025 (UA)Vorlage:Heinrich IV.Autor(in) der Vorlage:ShakespeareRegie:Alexander Eisenach

Am Münchner Residenztheater inszeniert Alexander Eisenach ein altes Königsdrama für heute. Ewald Palmetshofers Shakespeare-Neuschreibung „Sankt Falstaff“ ist in seiner spannungsvollen, nachvollziehbaren Unbedingtheit packendes Theater.

Der Dramatiker und Dramaturg Ewald Palmetshofer ist wohl ein Sprachfetischist. Kaum ein:e Gegenwartstautor:in schreibt so sensibel, sorgfältig und mit ausgeprägtem Sinn für künstlerische Sprachformen wie der Österreicher. In seinen als Buch erschienen Saarbrücker Poetikvorlesungen beschreibt er dieses so formale wie körperbewusste, auf die Sprache der Darsteller:innen bauende Schreiben für die Bühne theoretisch.

Über Shakespeare hinaus

Nach einigen Jahren hatte nun auch wieder ein neues Stück Palmetshofers Premiere. Shakespeares „Heinrich IV“ ist eine hierzulande weniger gespielte Mischung aus Königsdrama und Kneipenkomödie, in deren Zentrum neben dem künftigen König der feiste, feige, fröhliche Ritter Falstaff steht. In seinem Versdrama, das sich szenisch frei und gedanklich tiefgründig auf Shakespeare bezieht, verortet Ewald Palmetshofer das Stück aus englischer Vorzeit in einem postdemokratischen Irgendwo, in dem der „Quasi-König“ seine Nachfolge zu regeln versucht, sein Sohn sich aber durch dubiose Freundschaften und eine neue Beziehung zum Unterschichten-Melancholiker Falstaff von den Kreisen der Macht zunächst noch fernhält.

In Alexander Eisenachs Inszenierung spielt der groß gewachsene München-Rückkehrer Steven Scharf den Titelhelden als sensiblen Spelunken-Ritter. Wie Fürst Myschkin in Dostojewskis „Idiot“ ist dieser Falstaff zu gut für diese Welt; ein selbst-kritischer, machtloser Mann, der nach einer wenig spaßigen Überlistung durch seinen ungleichen Freund Harri (Johannes Nussbaum) und dessen Kumpel Ed (Lukas Rüppel) auch zum schwadronierenden Faktenverdreher werden kann. Zu Beginn gabelt Falstaff den ohnmächtigen Prinzen im Pissoir auf und trägt ihn in die lebensrettende Kneipe der Frau Flott (Myriam Schröder).

Eine Welt der Macht und Ohnmacht

Wie sich die homo-erotische Freundschaft zwischen den ungleichen Männern weiterentwickelt, wird in den flott inszenierten, gut drei Stunden weniger durchgespielt. Harri übt kleine Machtspiele mit Falstaff, ist aber wie magisch von diesem fremden Mann angezogen. Erst am Ende übernimmt Nussbaum als Erzähler seiner selbst die Macht in Geschichte und Politik. Vielmehr zeigt das achtköpfige Ensemble virtuos und packend das gleichzeitige In- und Auseinander einer Welt. Der „Container-Club“ ist – an enge Denic-Räume in Castorf-Inszenierungen erinnernd – geduckt unter das schräge Bühnenrund des „Hauses der Macht“ gebaut. Beide Bühnenpole (Bühne: Daniel Wollenzin) kommen über Drehungen der Bühne abwechselnd ins Spiel, im zweiten Teil werden nach halben Drehungen die Verschachtelungen von Unterwelt und Oberhaus verdeutlicht.

Die Live-Kamera (Oliver Rossol) spielt die Überwachung des Staates weiter aus und bringt Szenen um Falstaff auf die Rückwand der schrägen Welt des Herrschers.
Steffen Höld als Quasi-König und Tyrann von heute verkörpert das Dilemma der Vergänglichkeit von Macht. In der brutalen Suche nach seiner Nachfolge ist das Stück auch ein absurdes Spiel vom König, der stirbt. Mit einem silbernen, weiten Mantel wirkt der dahinsiechende Strippenzieher (Kostüme: Claudia Irro) wie ein ironisch verfremdeter historischer Herrscher und zudem wie ein Mensch aus einer seltsamen, dystopischen Zukunft. Auch die schrägen Vokuhila-Frisuren der meisten Männer verbinden die Figuren und schaffen eine geschlossene Gesellschaft, die sich um sich selbst dreht.

Im Sprachkunstwerk zu Hause

Auch Benedikt Brachtels und Sven Michelsons Klangteppich mit Beats und Synthesizer verknüpft sich ideal mit der intensiven Sprache und der drängenden Handlung der Inszenierung. Mit der Uraufführung von „Sankt Falstaff“ gelingt das Kunststück eine spannende und erschreckende Geschichte mit faszinierenden Figuren zu verbinden. Die Sprachkunst Palmetshofers und das Bühnentempo Eisenachs und seines Teams schaffen ein unterhaltsames und berührendes Spiel. Metaphern und komplexe Sprache, wie sie der großartig dumpfe Hitzkopf von Niklas Mitteregger als Gegenspieler Harris so fürchtet, schaffen ein in seiner Unerfreulichkeit glaubwürdiges Land. Am Tag der Veröffentlichung der tendenziell etwas eigenbrötlerischen Einladungen zum Berliner Theatertreffen zeigt die Münchner Uraufführung, dass komplexes Theater zugleich auf der Höhe der Zeit und auch ein potenzieller Publikumsrenner sein kann. Ein tolles Kunststück.

Dabei überzeugt das gesamte Ensemble. Auch Vincent Glander als Berater und Barkeeper und Isabell Antonia Höckel als Freundin des irren Gegenspielers und als Clubsängerin fühlen sich spielerisch und sprachlich sichtbar wohl. Die klare Analyse der menschlich-männlichen Abgründe in „Sankt Falstaff“ kann durchaus erschaudern machen. Nicht nur weil der Heilige am Ende zum Mörder des geliebten, frischen Herrschers wird, sondern weil es das Publikum zu Zeugen toxischer Männlichkeit macht.