Werdegang eines Empathielosen

Lukas Bärfuss: Parzival

Theater:Theater Pforzheim, Premiere:18.01.2025Regie:Jasper Brandis

Lukas Bärfuss‘ „Parzival“ am Theater Pforzheim hebt mit gegenwärtiger Sprache die Empathielosigkeit des Protagonisten hervor. Jasper Brandis Inszenierung lässt das „Warum?“ unbeantwortet und zeigt einen überragend spielenden Parzival.

„Eine Welt des Übergangs. Jede Gewissheit ist verloren.“, so beschreibt Lukas Bärfuss die Grundsituation des Parzival, der jenseits der Zivilisation als Naturbursche erzogen wurde. Was Rousseau in seinem Erziehungskonzept des „von Natur aus“ guten Menschen einforderte, scheitert in der Begegnung mit der Zivilisation. Jedenfalls bei Parzival, der von seiner Mutter als Narr in die Welt geschickt wird und dennoch bekommt, was er begehrt, wenn auch mit vielen Umwegen und Schmerzen.

Was Wolfram von Eschenbach in seinem großen Epos beschreibt, ist ein verkappter Bildungsroman: Da tappt einer in der Welt herum, saugt begierig die Erziehungsregeln, die ihm eingepaukt werden, auf – und scheitert in deren Anwendung, weil er keine Empathie für seine Mitmenschen entwickelt, die Regel über alles Menschliche stellt. In seiner Parzivaladaption – 2010 als Auftragsarbeit für das Schauspiel Hannover – entstanden – stellt Lukas Bärfuss dieses Thema groß aus. In zehn Episoden hält er sich eng an die Vorlage, lässt aber die gesamte Gawan-Handlung weg, die einen möglichen anderen Weg aufzeigt, als Parzival ihn geht.

Die Sprache der Handlung

Bärfuss erzählt die Handlung in gegenwärtiger Sprache, was die mangelnde Empathie noch deutlicher ausstellt. Da hat einer nur ein Ziel, er will als Ritter in seiner Rüstung glänzen. Dabei geht er auch über Leichen wie bei der Abschlachtung des roten Ritters. Oder im Raub des Ringes – ein Akt der Vergewaltigung – von Jeschute, der er wenigstens später wieder ihrem Mann mit Gewalt zuführen kann. Konsequent scheitert er bei seinem ersten Besuch der Gralsburg, um so unerklärlicher, dass er am Ende Gralskönig wird. Bärfuss kann sein Erstaunen nur in ein „Warum?“ am Ende formulieren.

Parzifal am Theater Pforzheim

Jan-Hendrik von Minden (Parzival) und liegend Timon Schleheck (Ither). Foto: Martin Sigmund

Auch Jasper Brandis macht in seiner Inszenierung am Theater Pforzheim keinen Versuch, dieses „Warum?“ zu beantworten. Seine Stärke zeigt sich in durchformalisierten Aufführungen. Auch in „Parzival“ herrscht eine strenge Stilisierung: Ein roter Bühnenboden verweist symbolisch im Halbdunkel des Lichts auf diese Welt voll Blut, durch die Parzival watet. Später werden Stäbe vom Schnürboden herabgelassen, die auch zu Schwertern werden können – und gegen Ende auf den Bühnenboden fallen. Das Ensemble trägt auch keine Panzer und dergleichen, sondern tritt in modern zugeschnittenen Anzügen auf, verfremdet nur mit Accessoires aus verknülltem Silberpapier (Ausstattung: Esther Bätschmann). Dazu entwickelt Brandis mit dem Ensemble eine strenge Bewegungschoreografie: ein Denkspiel, das nur mit einer herausragenden Besetzung funktionieren kann.

Der Parzival

Mit Jan-Hendrik von Minden agiert ein grandioser Parzival, der als Zeichen seiner Tumbheit zwei Kuschelkissen mit sich herumträgt: Wie er zuhört, wie er staunend zusieht, was um ihn herum passiert, wie die Fehlschläge sich in seiner Körpersprache abbilden, wie sich dieser Körper unter diesen Erfahrungen krümmt, das wird in seinem Spiel beeindruckend genau vorgeführt. Wenn Parzival eigentlich der Inaktive ist, der auf Außenreize reagiert, aber sein Handeln nicht selbstbestimmt setzen kann, so bekommt er in dieser Inszenierung eine starke Position.

Denn alle anderen werden zu bloßen Stichwortgebern: Sei es Nika Wanderer als Herzeloyde, Markus Löchner als Gurnemanz oder Jens Peter als Einsieder Trevrizent, deren Verhaltensregeln von Parzival missverstanden werden. Sie bleiben schemenhaft in eine überzeugende Bewegungschoreografie eingebunden, wie die anderen Darsteller auch, die meist mehrere Rollen zu spielen haben: Da wären noch Andreas C. Meyer, Arlen Konietz, Timon Schleheck, Sophia van der Berg, die eine anrührende Sigune vorführt, Jacob Hetzner und Bernhard Meindl zu nennen.

Was in Pforzheim zu sehen ist, ist eine spannende Geschichte einer Bildung von einem ganz seiner „Natur“ überlassenen jungen Menschen, der am Ende von seinen Misserfolgen erlöst zum Gralskönig – dem Inbegriff humaner Werte – wird. Keiner weiß, warum, weil in Übergangszeiten alle Möglichkeiten offen stehen.