Bo Skovhus (Clov) und Laurent Naouri (Hamm)

Elend und Edelrost

György Kurtág: Fin de partie

Theater:Staatsoper Unter den Linden, Premiere:12.01.2025Autor(in) der Vorlage:Samuel BeckettRegie:Johannes ErathMusikalische Leitung:Alexander SoddyKomponist(in):György Kurtág

Die Staatsoper Berlin zeigt György Kurtágs „Fin de partie” nach der Mailänder Scala und der Oper Dortmund zum dritten Mal szenisch. Das Kammerspiel nach Samuel Becketts gleichnamigem „Endspiel” wird in der imposanten Bühne von Kaspar Glarner zum philosophischen Abbild über die Absurdität unserer Vergänglichkeit.

Samuel Beckett hatte sein in französischer Sprache verfasstes Stück „Endspiel“ zweimal in Berlin inszeniert: 1975 in der Werkstatt des Schillertheaters und 1978 in der St. Matthäus-Kirche. Zu den ersten Bewunderern dieses 1957 in Paris uraufgeführten Meilensteins des Absurden Theaters gehörten die ungarischen Komponisten György Ligeti und György Kurtág. Letzterer entschloss sich im Alter von über 80 Jahren zur Komposition des in seiner Schlichtheit so rätselhaften Textes in französischer Originalsprache.

Kurtágs Oper erlebte nach siebenjähriger Schaffenszeit an der Mailänder Scala 2018 ihre Uraufführung, die Zweitaufführung in Dortmund wurde im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet. Die Berliner Erstaufführung der Oper geriet nun zu einem riesigen Erfolg für das hochkarätige Gesangsquartett, die Staatskapelle Berlin, die Ausstattung und das Produktionsteam: 100 Minuten subtile Spannung aus packend strukturierten Klängen (und Pausen). 100 Minuten Musik für ein Textwerk, dessen Sinn der Komponist zuerst nicht verstanden hatte und dem der Autor die Kernaussage „Nichts ist lächerlicher als das Unglück“ zugesprochen hatte.

Vier herausragende Sängercharaktere

Inzwischen gehören sie zum eisernen Figurenbestand aus dem Theater des 20. Jahrhunderts: Das in Mülltonnen vegetierende Ehepaar Nell (Dalia Schaechter) und Nagg (Stephan Rügamer), der im Raum bewegliche Clov (Bo Skovhus) und der in seinen Bewegungen gehandicappte Hamm (Laurent Naouri), der in der letzten Opernszene das Endspiel spielt. Die vier Sängercharaktere zeigen Stärke und Verhaltenheit, dichte Expression und ein enormes Spektrum an Schattierungen, die fein genug sind für Kurtágs Vokalsätze, aber auch einen essenziell wichtigen Ausstrahlungsradius haben. Becketts Liebe zur Zirkusmanege und Clownerie wurde hier opulent transformiert. Johannes Erath vertraut der performativen Energie seines Ensembles, Bibi Abels Videos und Birgit Wentschs glamourösen Kostümen mit Rüschen und Pailletten.

Das Nichts und das Nichtige, die Unfähigkeiten des Kommunizierens ereignen sich in einem dunklen Ambiente von opulenter Schäbigkeit. Passend zu Kurtágs Musik: Die Klänge des Beginns aus Blech, Tasteninstrumenten und Schlagwerk sind paradigmatisch für das, was folgt. Immer wieder gibt es zwischen den sich schichtenden Akkordfolgen volksmusikartige Motivfragmente von kurzer und bleierner Schönheit. Alexander Soddy rundet mit der Staatskapelle Berlin die Schroffheiten, modelliert Konturen mit ausladender Fülle. Für Becketts Ausweitung der Kampfzonen gegen Sinnlosigkeit und akkumulierende Lethargie liefert Soddy eine suggestive Leistung mit hoher Affinität zur Bildmagie auf der Bühne.

Ein philosophischer Spielraum

Der imponierende Spielraum Kaspar Glarners ist zu Dekoration gewordene Philosophie. Durch ein großes kreisrundes Loch sieht man einen alten Wohnraum und davor ebenfalls diesen als verdoppelnde Projektion. Auf der Vorderbühne stehen die Mülltonnen, daneben ein Erdhügel, ein von Rost zerfressenes Tandem und andere Ikonen der Vergänglichkeit. Die Publikumsaugen sehen zwei Perspektiven: Sie blicken frontal auf das Spielgeschehen und gleichzeitig wie vom Boden einer Mülltonne hinauf an deren runde Öffnung.

Nichts ist also gewiss und schon gar nicht stabil, am allerwenigsten der eigene Blickwinkel. Je mehr man sieht, desto weniger ist auf die Eindrücke im Widerspiel von physischem Spiel und Projektionen Verlass. Gegen Ende gibt es einen Szenenwechsel, den Blackout nutzten einige Premierengäste zum Aufbruch.

Die Schlussszene „Hamms letzter Monolog“ spielt auf einem umgestürzten Riesenrad mit bunten Kabinen. Am Ende leuchten die Glühbirnengirlanden auf dem Gestänge. Hamms Paillettenanzug glitzert mit ihnen um die Wette. In ihrer Schieflage dreht die tot geglaubte Schrottleiche des Riesenrads. Wie es sich für eine große Opernproduktion an einem der ersten Häuser Deutschlands gehört, ereignet sich „Fin de partie“ üppig und illusionsreich. Die phänomenalen Solisten ließen sich vom auf Zerfall getrimmten Edelmaterial nicht korrumpieren. Becketts schnörkellose Prosa über den Trödelmarkt der menschlichen Nichtigkeit wurde vergrößert zum hymnischen Niedergang mit gleichzeitigem Abschied von Wohlstand und Wohlsein. Das macht Becketts auch komödiantisch gemeinte Absage an die Möglichkeit eines dauerhaften Glücks fast bekömmlich.