Im Ferienlager Schauspiel Stuttgart

Wenn die Intoleranz regiert

Olga Bach: Im Ferienlager

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:11.01.2025 (UA)Regie:Jessica Glause

„Im Ferienlager“ von Olga Bach wird am Schauspiel Stuttgart uraufgeführt und kreiert Atmosphären eines Psychothrillers. Der Konflikt zwischen Jugendchor des Ferienlagers und der Chorleiterin ist symbolischer als es scheint.

Vom Mobbing, über die Ausgrenzung kritischer Geister bis zum diktatorischen Mainstream einer ideologisch verbohrten Mehrheit ist der Weg nicht weit. Diesen perfiden Prozess veranschaulicht Olga Bach in ihrer symbolistisch aufgeladenen Parabel „Im Ferienlager“, die jetzt im Kammertheater des Schauspiels Stuttgart uraufgeführt wurde. Die 1990 geborene Autorin und Juristin arbeitet mit Zeitsprüngen von der fragilen Situation im Jahr 1923, als die Hyperinflation die Gesellschaft im Griff hatte und Hitler seinen Putsch anzettelte, bis zur diffusen Gemengelage im Hier und Jetzt.

Ihr Versuchslabor ist dabei ein Ferienlager irgendwo in der Abgeschiedenheit des Odenwalds. Gestiftet hat es der so gönnerhaft wie undurchsichtig auftretende Zigarettenfabrikant Heinrich (Sebastian Röhrle), der als Heimleiter alle Fäden in der Hand hält. Für die Gesangsstunden seiner Zöglinge engagiert er eine neue Chorleiterin in Gestalt der aufgeweckten Luise (Silvia Schwinger).

Von der Großstadt aufs Land

Voller Tatendrang kommt die Neue aus der Großstadt Mannheim in der ländlichen Idylle an – doch in Idyllen tun sich oft genug gefährliche Abgründe auf. Das weiß man aus dem eingeschneiten Overlook Hotel in Stanley Kubricks Psychothriller „Shining“ nach Stephen Kings gleichnamigem Bestseller. Oder auch aus der angeblich so fortschrittlichen Odenwaldschule, in der über viele Jahre Missbrauchstäter unter dem Deckmäntelchen der Reformpädagogik ihr Unwesen trieben. Bis zur Schließung 2015.

Olga Bach spricht in ihrem Auftragswerk zwar weder „Shining“ noch die Odenwaldschule an, aber die Parallelen sind offensichtlich. Denn die gefährliche Gemengelage im Ferienlagers zwischen Angst und kollektiver Manipulation spitzt sich während des eineinhalbstündigen Abends immer weiter zu. Mehr noch: Das Jugendcamp wird durch Jil Bertermanns Bühnenbild zum globalen Phänomen. Mit ihrem wandelbaren Klettergerüst, das die gesamte Spielfläche beherrscht, assoziiert man mal unseren gesamten Globus, mal ein Gefängnis oder eine Konzertmuschel für die Gesangsnummern des mehr und mehr intolerant agierenden Chors.

Der Jugendchor

Das Dutzend der jungen Sängerinnen und Sänger drängt nicht nur sein Mobbingopfer Emil (Oscar Marx) ins Abseits, sondern untergräbt auch die Autorität der neuen Chorleiterin Luise. Sie handele nicht achtsam genug, lautet der pauschale Vorwurf des Chors. Die Jugendlichen stecken bei der ersten Probe die Köpfe zusammen und verkünden alle zusammen: „Wir sind gegen dieses Lied.“ Sie fühlten sich nicht wohl dabei, behaupten sie. Argumentiert wird nicht, stattdessen ist ganz pauschal von „kultureller Aneignung“ die Rede – nicht reflektiert, sondern in der Manier eines Kampfbegriffs. Und schon steht die Chorleiterin auf verlorenem Posten.

Im Ferienlager Schauspiel Stuttgart

Simon Löcker (Erzieher Luis), Silvia Schwinger (Chorleiterin Luise Mohn), im Hintergrund: Chor. Foto: Björn Klein

Jessica Glause spitzt diese Situation voller Raffinesse zu. Zugleich gelingt es der Regisseurin und dem versierten Ensemble, den stetigen Wechsel zwischen den Erschütterungen der Weimarer Republik und unserer Gegenwart in der Balance zu halten. Hier wie da führt die zu Beginn angesprochene „allgemeine Gereiztheit der Zeit“ zu nichts Gutem. Hinzu kommt noch ein Mordfall an einem Angehörigen der verhassten französischen Siegermacht des Ersten Weltkriegs. Das Opfer könnte ein Vergewaltiger gewesen sein, heißt es denunziatorisch, obendrein ein Volksfremder, womit dem Nationalismus Tür und Tor geöffnet sind.

Vertrauen und Verbergen

Aufgeklärt wird der Mord nicht – auch nicht von der investigativen Journalistin Ruth (Celina Rongen), der kurzerhand „Fake News“ vorgeworfen werden. Eine undurchsichtige Rolle spielt überdies der Erzieher Luis (Simon Löcker), an den sich Luise erst vertrauensvoll wendet, sich dann aber auch von ihm im Stich gelassen fühlt. Kaschiert Luis zu viel, um seine eigene Homosexualität zu schützen, das ist hier die Frage.

Der Chor der Jugendlichen steckt in schwarzen Schuluniformen, bei denen man an die Hitlerjugend denken mag. Die ältere Generation scheint, rein farblich betrachtet, von der Fraktion der Blauen beherrscht zu werden (Kostüme: Florian Buder). Dieses Spiel mit Symbolen lässt vieldeutige Interpretationsansätze zu, und genau das macht den Wert des Stücks und der Inszenierung aus. Vorschnelle, platte Lösungen bietet Olga Bach nicht an – und damit wird das Theater zum Denkraum im besten Sinne.