„Wir sind zu zweit selten komplett aufgeschmissen“
Foto: Leonhard Koppelmann und Peter Jordan © Melanie Zanin Text:Michael Laages, am 1. August 2024
Der Schauspieler Peter Jordan schreibt die Texte, er inszeniert sie gemeinsam mit Hörspielspezialist Leonhard Koppelmann. Ihre schrägkomödiantischen Revuen sind erfolgreich.
Peter Jordan schreibt sehr kreativ, spontan und ziemlich schnell, zuweilen auf Vorrat und „immer vorwärts – das ist genial“, sagt sein Gegenüber: Leonhard Koppelmann ist Jordans Kollege seit dem Studium in Hamburg und sein Arbeitspartner seit mittlerweile über zehn Jahren. Gemeinsam inszenieren die beiden, was Jordan sich so ausdenkt. Koppelmann setzt es um für die Bühne, bringt szenisch-dramaturgische Ordnung in Jordans sprudelnde Ideen.
Im Juni haben die beiden in Düsseldorf ein Fanspektakel im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft der Männer vor das Schauspielhaus gestellt, im Herbst folgt am kleinen St. Pauli Theater in Hamburg die Bühnenfassung des 1928 gedrehten Stummfilms „Die Carmen von St. Pauli“, ein „Dracula“-Projekt entsteht für den Boulevard in Berlin. Mit sehr viel Energie, Fleiß und erstaunlich viel Spaß am eigenen Tun haben die beiden eine Art neuen Spielstil kreiert fürs Theater: mal open air, mal im Zelt, mal auf ganz normalen Bühnen. Verblüffend ist alles, was die beiden anstellen.
Leonhard Koppelmann, vom Jahrgang 1970 und aus Aachen, studierte Regie in Hamburg, Anfang der 1990er-Jahre, als dort noch Manfred Brauneck für die Ausbildung von Regisseurinnen und Regisseuren zuständig war. Parallel war aus Dortmund der drei Jahre ältere Jordan nach abgebrochenem Medizin- zum Schauspielstudium an die Alster gekommen. Jürgen Flimm vermittelte Jordan noch vor dessen Abschluss an die Ex-Gattin Inge Flimm, die damals Schauspieldirektorin am Volkstheater in Rostock war. Und von dort holte ihn wiederum Leander Haußmann ans Schauspielhaus nach Bochum. „Das ist mein Erbe“, sagt Jordan heute: „Jürgen Kruse und Dimiter Gotscheff.“ Ein Teil der Bochumer Truppe wechselte fünf Jahre später ans Thalia Theater zu Jürgen Flimms Intendanznachfolger Ulrich Khuon, mit Khuon zog Jordan weiter ans Deutsche Theater nach Berlin – und begann (auf Einladung von Kay Voges) dort zu inszenieren, wo er mal zu Hause gewesen war: „daheim“ in Dortmund.
Erste gemeinsame Arbeit
Derweil war Kollege Koppelmann Assistent gewesen an Flimms Hamburger Bühne und inszenierte erfolgreich: Die Thalia-Version des Lessing-Stücks „Die Juden“ erhielt 1996 sogar den Förderpreis zum Gertrud-Eysoldt-Ring. Schnell aber fand Koppelmann mehr Vergnügen an der Produktion von Hörspielen für das Radio, über 200 waren in den Programmen von WDR und NDR zu hören. Aus den Augen verloren er und Jordan einander aber nie – und als Jordan noch in Berlin spielte, wieder mal bei Dimiter Gotscheff, und der nicht fertig wurde mit einer Arbeit, Jordan aber schon wieder in Dortmund inszenieren sollte, sprang Koppelmann ein, als Vor-Arbeiter sozusagen. Mit „Arsen und Spitzenhäubchen“, dem Komödienklassiker, entstand dann eine gemeinsame Arbeit. Das kam auch Jordans tiefer Skepsis dem neuen Beruf gegenüber sehr entgegen: „Ich hatte ja nie die Absicht, das Theater zu retten, indem ich inszeniere. Ich bin auch eigentlich kein Regisseur.“ Heiner Müllers „Macbeth“-Fassung war Jordans Debüt in Dortmund gewesen – kein Erfolg, wie er selber fand.
Koppelmann und Jordan heute, über zehn Jahre später, zuzuhören bei der Analyse der eigenen Arbeit seither, ähnelt einem furiosen Seminar zweier kluger Referenten über das Heitere, das Komische an sich; über das Leichte, das auf deutschen Bühnen so unerhört schwer zu machen ist. Bei Gotscheff war Jordan häufig als ulkiger Ausputzer tätig gewesen; „Mach mal was Lustiges, Peter“, habe der ihn regelmäßig angefeuert. So wurde der Schauspieler auch Teil der im Theater weithin gefürchteten „Dschungel-Regie“ – jenem Teil der Inszenierung, die in geheimen Vereinbarungen von Schauspielerinnen und Schauspielern untereinander sowie hinterher in der Theaterkantine mit Regisseurin oder Regisseur entsteht. Und wenn Koppelmann Jordan auf der Bühne zusah bei der Arbeit, merkte er immer sofort, wer im Ensemble sich offenbar Tipps von Dschungel-Regisseur Jordan geholt hatte.
Koppelmanns eigenes Zauberwort für die Arbeit im Theater heißt „Wirkungsmechanik“ – und die ist in der Komödie viel stringenter wahrnehmbar als im Drama. Das hat den weiteren Horizont, alles ist möglich und machbar – in der Komödie gibt es nur plus oder minus: Die geschriebene oder inszenierte Pointe funktioniert, und das Publikum reagiert, indem es lacht oder eben nicht. Darum wird alles, was heiter sein will, ob Komödie, Farce, Vaudeville oder (wie mittlerweile oft bei Koppelmann und Jordan) die Revue, zur fundamentalen, viel grundsätzlicheren Herausforderung.
Gegen die „didaktische Eindeutigkeit“
Im aktuellen Theaterbetrieb, meint Koppelmann, habe sich die „didaktische Eindeutigkeit“ durchzusetzen begonnen: Die „Zwischenräume“ seien abgeschafft, weshalb die Komödie nur noch geringe Chancen habe. „Weil wir die Unterhaltung vertrieben haben, haben wir auch kaum noch ‚well-made plays‘, in England und Frankreich ist das ganz anders.“ Und die Theaterleitungen, ergänzt Jordan, suchten auf der verzweifelten Jagd nach dem Publikum immer nur nach der „Schnittmenge“ – zwischen vertrauten Themen und der „neuen Form“ drum herum. Das habe zur aktuellen Überfülle von „Überschreibungen“ geführt: „Ein modernes Pferd trägt einen alten Titel.“ Das Publikum aber stimme angesichts dessen oft mit den Füßen ab – bleibt weg und sagt: „Erzählt mir doch mal was, nicht immer nur Thesen!“ Das Theater sei viel zu oft nur noch der Thesenort, wo Wissende anderen Wissenden mitteilen, was alle eh schon wissen.
Die Grundvereinbarung für das Theater von Jordan und Koppelmann sieht anders aus. Das Publikum sei immer Teil des Prozesses, schon weil sich an seinen Reaktionen „Wirkungsmechanik“ zeigt, im Idealfall entstehe vielleicht sogar ein richtiges Frage-und-Antwort-Spiel. Dafür, sagt Koppelmann, sei Partner Jordan der ideale Autor: „Das Stück ist bei ihm im Kopf immer schon fix und fertig“, Jordan ergänzt: „Viel kommt aus’m Hut, ist halb gedacht, und irgendwann kommen dann Dinge dazu, mit denen ich selber gar nicht gerechnet habe.“ All das gehe rasend schnell. Für Koppelmann selber bleibe die Nachbearbeitung, die Anordnung von Szene und Situation, immer orientiert am jeweiligen Spielort. Wenn Jordan inszeniert, spielt obendrein immer die Perspektive eine wichtige Rolle, die der Schauspieler kennt – die von seinesgleichen, die der Menschen auf der Bühne. Das kann durchaus peinlich werden, und Jordan schämt sich für Kolleginnen und Kollegen, die genauso agieren, wie er es vielleicht selber täte: eitel, selbstgerecht, egozentrisch. Dann hilft Koppelmann: „Wir sind zu zweit selten komplett aufgeschmissen.
Die Basis ihrer Arbeit ist unverabredet
Aber, und das lässt staunen: „Die Basis unserer Arbeit ist unverabredet“, sagt Koppelmann. „Wir nehmen uns nichts vor.“ Manchmal entsteht die Idee für eine Arbeit erst im Gespräch über den Auftrag, etwa im Fall der „Dreigroschenoper“ am Hamburger St. Pauli Theater, die sich bei Jordan und Koppelmann jenseits aller Tradition dieser ollen Scharteke plötzlich zur Revue mit Tänzern verwandelte. „Wenn wir erst mal in Fluss kommen, beginnt sich auch der Theaterapparat zu bewegen“, sagen beide. Und: „Wir diskutieren nicht, nicht vorher, nicht mittendrin, nicht danach; wir suchen keinen Kompromiss.“ Ideen montieren sie, vorurteilslos, improvisierend, immer bereit für eine jeweils ganz andere Lösung. „Wir werden natürlich für ein bisschen blöde gehalten, weil wir vor allem das Publikum bedienen wollen“ – das wissen beide. Und: „Wir werden engagiert, um erfolgreich zu sein.“
Der Besuch in der Revuefabrik von Leonhard Koppelmann und Peter Jordan zeigt, wie viel Lust diese Last und wie viel funkelndes Vergnügen diese schwere Bürde mit sich bringen kann.
Leonhard Koppelmann, geboren 1970 in Aachen, war Regieassistent bei WDR und NDR, studierte Theaterregie an der Universität Hamburg und arbeitete als Regieassistent und später Regisseur am Thalia Theater Hamburg. 1993 begann er sich als Hörfunkautor und -regisseur zu etablieren. Er inszenierte auch am Theater, fast immer mit Peter Jordan.
Peter Jordan, geboren 1967 in Dortmund, studierte in Hamburg Schauspiel ohne Abschluss. 1994 debütierte er am Volkstheater Rostock, es folgten Engagements am Schauspielhaus Bochum, am Thalia Theater Hamburg und am Deutschen Theater Berlin. Seit der Saison 2010/11 führt er Regie, fast immer mit Leonhard Koppelmann.
Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr. 4/2024.