Der Sturm, Mein Lieblingswetter Karlsruhe

Vom Untergang des Kapitalismus

Ariane Koch: Der Sturm, mein Lieblingswetter

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:13.12.2024Autor(in) der Vorlage:William ShakespeareRegie:Simone Blattner

Simone Blattner inszeniert einen Shakespeare mit vertauschter Besetzung der Gender. „Der Sturm, mein Lieblingswetter“ wurde von Ariane Koch umgeschrieben, bleibt jedoch relativ nah am Original. Eine junges Paar rebelliert gegen die Luxusgesellschaft und kämpft für ein anderes Leben.

Man kann Shakespeare verändern, wenn man ihn verändern kann, schrieb Brecht einmal sinngemäß. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe hat man die junge Schweizer Autorin Ariane Koch mit einer Überschreibung beauftragt: „Der Sturm, mein Lieblingswetter“. Bis auf Miranda, die Tochter des Prospero, sind alle Rollen weiblich besetzt und auch das Ambiente im Text ist sehr gegenwärtig. Im zauberhaften Sturm strandet eine Luxusyacht, die der Queen of Passports gehört. Mit eben solchen Papieren treiben sie einen schwunghaften Handel. Am Ende will sie gar die Insel für ihre Zwecke einnehmen, wenn da nicht die jungen Leute rebellierten. Sie wollen ein eigenes Leben auf der Insel führen und Wein anbauen.

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Wenn auch bis auf Mir(anda), die bei Shakespeare die einzige weibliche Rolle hat, alle Rollen mit Frauen besetzt sind, orientiert sich der äußere Handlungsablauf bis auf dem Schluss relativ eng an Shakespeare in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel & Caroline Schlegel-Schilling. Prosperunda, die Zauberin und Autorin im Exil nutzt ihre Chance, aus der Verbannung zurückzukehren, indem sie einen Sturm entfacht, der die vorbeisegelnde Yacht ihrer Feinde scheinbar zum Sinken bringt. Mit Hilfe von Ariel kann nach allerlei Wirren und Alpträumen der Plan von Prosperunda wahr werden. Am Ende droht bei Koch ein weiterer Sturm (und das Zauberbuch wird nicht an Ari(el) abgegeben). Die Regie von Simone Blattner lässt sich voller Lust auf die alptraumhaften Elemente des Stoffes ein, wobei sie die Künstlichkeit der Figuren und Handlungen betont.

Kulissenbühnenbild

Visuell wird dieser Eindruck von Martin Miotks Bühnenbild bestimmt. Dieses kopiert nach der Strandung der Yacht, wenn sich die Handlung auf die Insel verlagert, ein wunderbares dreistufiges Kulissenbühnenbild aus dem 19. Jahrhundert. Mit bizarren gemalten Bäumen, schweren Wurzelgeflechten rechts und links, die zugleich Höhlen bilden, einem felsigen Untergrund und vorne nahe am Publikum ein hohler Baumstamm, mit Gitterrost verschlossen, darin wird das Zauberbuch aufbewahrt. Links und rechts neben diesem zentralen Bühnenbild gibt es einsehbare Räume, in dem sich u.a. die Spieler:innen umziehen. Links ist zudem der Platz des Musikers Christopher Brandt, der mit seiner Livemusik entscheidenden Anteil am Erfolg dieser Inszenierung hat. Wie er dröhnend dramatische Töne und dann wieder ganz sanfte für die sich anbahnende Liebe von Mir und Fe erklingen lässt, ist vom Feinsten. So muss auch im 19. Jahrhundert das live gespielte Melodram gewirkt haben. Dabei tendiert die Inszenierung von Simone Blattner im zweiten Teil immer mehr zu einem Singspiel hin.

Karlsruhe Der Sturm mein Lieblingswetter

Claudia Hübschmann, Antonia Mohr, Emma Suthe. Foto: Felix Grünschloß

Nina Schopka legt die Prosperunda zurückhaltend an. Sie empfindet keinen Triumph bei der Inszenierung ihrer Rache, die ihr entschwindet. Auch Ariel, von Swana Rode im glitzernden Kostüm (Andy Besuch hat für die Inszenierung groteske Kostüme entworfen) dargestellt, wirkt, nachdem sie als Kobold durch die Szenen blitzt, am Ende erschöpft: alle Arbeit ist getan, was aber ist mit der eigenen Freiheit? Salopp spielt Jeanne-Marie Bertram die Kapitänin, wie auch Claudia Hübschmann und Antonia u.a. Partygirls spielen. Antonia Mohr gestaltet in einer Doppelrolle die besitzergreifende Queen und Calibané, die einstige Bewohnerin der Insel, die sich selbst zur Präsidentin der Insel ernannt hat und Wein anbaut. Calibané wirkt nicht wie bei Shakespeare monsterhaft, sondern mutiert zu einer Geschäftsfrau, die sich anschickt, der Queen nachzueifern. Ergänzt wird diese Luxusgesellschaft von Claudia Hübschmann als Gonz.

Rebellion gegen den Kapitalismus

In das Zentrum der Inszenierung rückt Blattner das junge Paar, das sich in einem Augenblick verliebt, sich dann zusammentut, um gegen die Welt, wie sie hier aufgebaut ist, zu rebellieren. Sie wollen ein eigenes, ein anderes Leben als die Erwachsenen führen, die wie Prosperunda eher in der Vergangenheit leben oder wie die Queen alles in gewinnbringendes Kapital zu verwandeln versuchen. Am Ende wird in einem neuen drohenden Sturm, der dieses Mal keinem Zauber mehr entspringt, diese Luxusgesellschaft (und mit ihm der Kapitalismus) untergehen. Die jungen Leute hingegen bleiben auf der Insel und richten sich ein. Emma Suthe spielt mit überzeugender Frische die Fe, die Tochter der Queen, gar nicht naiv. Sie wirkt als lebendiger Gegenpol zu der Kunstgesellschaft der „Alten“. Leonard Dick agiert derweil als Sohn der Prosperunda emotional aufbrausend, ein kleiner Feuerkopf, dem die Insel zur Heimat gefunden hat.

Alle woken Themen werden in dieser Überschreibung des „Sturms“ angedeutet – Rassismus, Kolonialismus, Feminismus. Es hätte auch mit der ursprünglichen männlichen Besetzung funktioniert: Diese Frauengesellschaft erscheint wie eine auf den Kopf gestellte (untergehende) Männergesellschaft. Das spielt das Ensemble groß aus.