Doch es kommt ein Schneesturm über München, das Flugzeug fliegt nicht. Den letzten Mietwagen, den er bekommt, teilt er mit einer jungen Frau, deren Habitus ihn sofort an eine „Tofu-Terroristin“ denken lässt. Deren übermäßiges Selbstbewusstsein resultiere gewiss aus dem Geld der Eltern und dem Mangel an eigener Lebenserfahrung. Ja, sein Frühwarnsystem ist alarmiert, aber hilft das?
Das Bühnenbild und Ausnahmezustand
Nein, das feuerwehrrote Bühnenbild von Ágnes Hamvas signalisiert, was die nächsten zweieinhalb Stunden passieren wird: der Ausnahmezustand, der Lea (unbremsbar: Antonia Schwingel) auf dem Fuße folgt. Die Regisseurin Maya Fanke hat mit „Der erste letzte Tag“ den Roman von Sebastian Fitzek in der Bühnenfassung von Lajos Wenzel für die Uckermärkischen Bühnen Schwedt adaptiert. Es ist ein tragikomisches Roadmovie für zwei Menschen geworden, die, jeder für sich, an einem Endpunkt stehen.
Sie hat sofort ein Experiment im Sinn: Was wäre, wenn dies der letzte Tag deines Lebens wäre, was würdest du tun? Für ihn sind solche Fragen Ausdruck pubertärer Ahnungslosigkeit – was taugte das Leben denn, wenn man an seinem letzten Tag verzweifelt versuchte, alles Versäumte nachzuholen, alles anders zu machen? Aber hier täuschen sich beide ineinander. In dieser Täuschung besteht dann der Reiz dieses boulevardesken Stücks, das des Lebens Abgründe trotz allem leicht und unterhaltsam zu nehmen versucht. Aber das Leben selbst sperrt sich dagegen, derart leicht genommen zu werden und so bekommt der Abend eine wohltuende Fallhöhe. Immer wieder taucht der großartig wandlungsfähige David Alonso in verschiedensten Rollen als leibhaftiger Störfall auf, das Ärgernis einer Welt verkörpernd, die nicht nach unseren Regeln funktioniert.
Frage nach dem Sinn des Lebens
Wann hat man gut gelebt? Wer sich diese Frage zu spät stellt, dem fehlt dann schlicht die Zeit, etwas anders zu machen. Lea schleift Livius durch die Hölle der Peinlichkeiten, die sich dieser Biedermann nicht hat vorstellen können. Nein, dies ist nicht sein Spiel, er ist nur Statist im letzen Kapitel des Lebens von Lea, die an Krebs erkrankt ist, wovon er nichts weiß. Er kommt sich bei dem vierundzwanzigstündigen Parcours, zu dem ihn Lea zwingt, vor wie ein Lebensanfänger.
Die junge Frau aber ist ihm voraus im Wissen um jene Dinge, die am Ende zählen. Geld ist es nicht und bürgerliches Ansehen auch nicht. Das lehrt sie ihn in einem Crashkurs unterwegs unter reichlicher Nutzung seiner Kreditkarte. Was kann man damit alles machen, was niemand erwartet? 44 Schweine auf dem Weg zum Schlachthof freikaufen, 21 Zimmer in einem Leipziger Luxushotel für Obdachlose mieten, mit denen sie dann ein Festmahl veranstalten, oder unterwegs ihr Luxusmietauto gegen einen schrottreifen Zweitakter eintauschen. Ist das nicht unvernünftig? Nicht vor der Ewigkeit, die misst nach anderen Maßstäben.
Wenn die Worte fehlen
Hier also gerät alles nach und nach außer Kontrolle, aber das ist gut so, sagt uns diese Inszenierung. Denn erst jetzt können wir uns fragen, was wir wirklich wollen. Eine Antwort darauf hören wir nicht, weder von ihm noch von ihr, aber es ist die Musik von „Moon River“ oder Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“, die dann zu sprechen beginnt, wenn beiden die Worte ausgehen. Am Ende bleibt Ratlosigkeit. Es gibt auf die Fragen nach Leben und Tod, wenn sie ernst genommen werden, keine schnellen Antworten mehr. Und dann tanzen sie beide, mal wild, mal wie in Zeitlupe. Dann wirkt es, als sei die Bühne in Aspik getaucht.
Was ändert sich für beide während dieser 24 Stunden, die sie auf dem Weg von München nach Hamburg gemeinsam verbringen? Weniger als sie vielleicht erhofft haben. Jeder von ihnen steht vor einem Endpunkt, der unaufhaltsam näherrückt. Für ihn wird ihr Ende dann vielleicht ein Neubeginn. – Ist ein solch schriller Bilderbogen nun viel oder wenig? Je nach der Perspektive, die man darauf hat. Das ist mit dieser Inszenierung nicht anders als mit dem Leben überhaupt.