RATSCHLAG DER VIELEN: Selbstbewusstsein statt Wut
Foto: Diskurs in der Akademie der Künste © Marcus Lieberenz Text:Sophie-Margarete Schuster, am 29. November 2024
Der 2017 in Berlin gegründete Netzwerk-Verein DIE VIELEN lud den Kulturbetrieb zu einem demokratischen Thinktank in die Hauptstadt ein, auch der Deutsche Bühnenverein war beteiligt. Unter dem Motto „RATSCHLAG DER VIELEN. Handeln gegen Rechtsextremismus“ gab es in der Akademie der Künste Berlin, am GRIPS-Theater, dem HAU, dem Humboldtforum sowie am Maxim Gorki Theater Workshops und Diskussionen zwischen Lähmung und Tatendrang.
Alles beginnt mit einer Fragerunde, in der die Performer:innen des Kollektivs Turbo Pascal Karten an die Teilnehmenden verteilen: „Wir leben in Zeiten, in denen …“, „Zurzeit fühle ich mich …“, „Ich erlebe Rechtsextremismus, wenn …“. Das Publikum ist aufgefordert, die Sätze zu vervollständigen. Während die beschriebenen Karten fortlaufend eingesammelt, sortiert und abgefilmt werden, lässt ein Blick aus dem Fenster die Kuppel des Bundestages am Berliner Himmel erscheinen. Hier liegt alles dicht beieinander, sowohl architektonisch als auch emotional: Die Antworten auf den Karten schwanken zwischen Erschöpfung und Motivation, Lähmung und Tatendrang.
Die aktuellen Wahlerfolge der rechtspopulistischen AfD – in Thüringen wurden sie mit 32,8 Prozent stärkste, in Sachsen mit 30,6 Prozent zweitstärkste Kraft im Landtag – stellen die Demokratie vor Fragen: Was können wir tun, um antidemokratischen Entwicklungen entgegenzutreten? Wo steht die Kultur in diesem Vorhaben? Und was braucht es, um die Demokratie zu schützen? Um sich diesen Fragen zu stellen, luden DIE VIELEN mit ihrem Programm „Ratschlag der Vielen“ in die Akademie der Künste am Pariser Platz ein.
Ein Kraftakt im Angesicht der Lage
Nachdem Mitte November vom Berliner Senat beschlossen wurde, dass der Landeshaushalt für Kultur ab Januar 2025 mit rund 12 Prozent Einsparungen konfrontiert sein wird, ist das Vorhaben des Vereins vor allem ein Kraftakt. Im Saal wird spürbar, dass die Sehnsucht, mit Zuversicht Pläne zu schmieden, im Angesicht der finanziellen Realität und der noch im Mark sitzenden Corona-Pandemie viel verlangt ist. Doch was können wir jetzt tun? Die Autorin Jagoda Marinić macht in ihrem Impulsvortrag zu Beginn des Programms einen Vorschlag. In Anlehnung an ihre 2024 erschienene Monografie „Sanfte Radikalität“ ruft sie zu einer Umkehrung auf: Dort, wo die Wut in uns wächst, müssen wir sanft an unser Selbstbewusstsein appellieren.
Ein Leitfaden, der für das folgende Programm wegweisend sein wird. Immer wieder wird es in den Arbeitsgruppen, die sich im zweiten Teil der Veranstaltung im HAU Hebel am Ufer, im Maxim Gorki Theater, im Humboldt Forum, im GRIPS Theater und in der Akademie der Künste zusammenfinden, zu kurzen Augenblicken der Empörung, der Wut und der Frustration kommen. Folgen wir hierbei Marinićs These, müssen wir verstehen, dass diese Gefühle okay sind, sogar wichtig. Entscheidend ist, dass wir nicht in ihnen verharren. Es liegt an uns, sie im richtigen Moment in eine Klarheit zu überführen. Doch wie kann das gelingen?
Anh-Linh Ngo: Fokus statt Wut
In einem Wortbeitrag des Vizepräsidenten der Akademie der Künste Anh-Linh Ngo beginnt sich Marinićs Wunsch einzulösen – Wut über die Kürzungen kehrt sich in inhaltliche Fokussierung: Die Kultur kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass politische Ziele umgesetzt werden, findet Anh-Linh Ngo. Aber, und das betont er, die Kultur ist verantwortlich für das ästhetische Subjekt, das sich diesen Herausforderungen stellt. Zu fragen ist also, wie wir das ästhetische Subjekt so schärfen können, dass es sich gegen Vereinnahmungen zur Wehr setzt. Wenn wir uns diesem Prozess verschreiben, eröffnen wir einen Raum, in dem sich – über den Titel des Programms „Handeln gegen Rechtsextremismus“ hinausgehend – eine eigene Vorstellung der Zukunft, unserer Demokratie und unserer Selbst entwickeln lässt.
Appell für mehr Bündnisse
Zwar nicht mit Leichtigkeit, so aber – und das ist vielleicht noch mehr wert – die Erschöpfung und die Wut durchbrechend, trägt Jörg Albrecht, Autor und Gründungsdirektor sowie Künstlerischer Leiter von Burg Hülshoff – Center for Literature, am Ende des Programms dann einen konkreten Vorschlag aus der Arbeitsgruppe in das Plenum. Er findet, wir sollten aus den eigenen Räumen raus – rein in die Öffentlichkeit, in die Gewerkschaften, auf Demos, vielleicht in der Pflege oder dem Umweltschutz. Denn das Theater braucht breite Bündnisse, in denen wir uns unserer eigenen Skills bewusst sind. Bündnisse, in denen die Kraft der ästhetischen Erfahrung ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen und ausbauen kann.