Das Ensemble sitzt weit verteilt auf der Bühne. An die hintere Wand ist ein Video von Vincent Furrer als Basini projiziert.

Bäume und junge Menschen gestutzt

Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Theater:Theater Ulm, Premiere:16.11.2024Vorlage:Die Verwirrungen des Zöglings TörleßAutor(in) der Vorlage:Robert MusilRegie:Benjamin Junghans

Wie Bäume lassen sich die jungen Leute in Benjamin Junghans‘ Inszenierung von „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ in Form schneiden. Robert Musils Roman gibt auf der Theater Ulm Bühne einen Einblick in die österreichische Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Haben uns jene Erfahrungen, die Robert Musil als Kadett einer k.u.k. österreichischen Militärerziehungsanstalt machte und in seinem ersten Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ 1906 niedergeschrieben hat, noch viel zu sagen? Ist Törleß nurmehr eine feinnervige Studie eines pubertierenden jungen Mannes, in dessen persönlichem Umfeld sich autoritäre Charaktere austoben? Törleß bleibt innerlich bei den Erniedrigungen von Basini durch die Mitschüler Beineberg und Reiting unbeteiligt, wenn er sich äußerlich auch beteiligt. In der Ulmer Inszenierung von Benjamin Junghans führt Henning Mittwollen als Törleß das eindrucksvoll vor. Wenn es ihn emotional trifft, arbeitet er mit ausbreitenden Gesten, lässt Arme und Hände kreisen, zieht mit der Hand nachdenklich an seiner Oberlippe. In Momenten des Zuschauens agiert er starr.

Baumbildner

Gegen Ende seiner Erzählung resümiert Musil die Entwicklung seines Helden mit dem Satz: „…die Seele hatte einen neuen Jahresring angesetzt wie ein junger Baum“. Junghans nimmt dieses Resümee zum Ausgangspunkt seiner Inszenierung. Auf dem sechseckigen Podest des Ulmer Podiums steht ein einsamer kahler Baum. Am hinteren Bühnenabschluss, der von einer großen Leinwand dominiert wird, hat der Ausstatter Tom Schellmann vier lampenähnliche Objekte platziert. In der Mitte der Podesterie klafft ein Loch. Dahinter steht ein Kasten mit einer kleinen Modelllandschaft, davor eine Kamera, denn es wird mit Livevideo gearbeitet.

Auch die Kostüme erinnern an einen Gärtnerausbildungsinstitut. Der Vater/Professor von Stephan Clemens stakst in schweren grünen Gummistiefeln und als Professor mit Gummischürze herum und führt vor, wie man Bäume richtig beschneidet, damit sie gut auswachsen können. Die jungen Schüler laufen in grünen Hosen und wattierten Westen herum. Beineberg trägt dabei auf seiner Weste den Schriftzug „Real Eyes realize real lies“. So zieht sich der Zentralsatz einer jeden autoritären Erziehung – einen Schüler wie einen Baum zurecht zu stutzen, damit er aufrecht wachse – durch das gesamte Bildmaterial der Inszenierung bis hin zur Mutter der Christel Mayer, die unter dem schwarzen Mantel ein geblümtes Kleid trägt oder als kommentierender „Himmel“ einen Überwurf mit blauen Linien.

Beeindruckende Ensembleleistung

Vincent Furrer spielt Basini als geschundene Kreatur, die sich geradezu als Opfer anbietet. Sozial aus niederem Milieu wird er zum Dieb, der sich nach der Entdeckung durch Reiting willig erniedrigen lässt, gleichzeitig aber auch von der Andersartigkeit des Törleß angezogen wird. Furrer und Mittwollen spielen diese komplizierte Nicht-Beziehung feinnervig aus. Reiting und Beineberg sind in dieser Inszenierung mit Frauen besetzt, die sich in Männlichkeitsritualen ergehen und Gewalt auf Schwächere ausüben, ohne diese Gier nach Macht wirklich zu genießen. Währenddessen führt Stefanie Schwab mit spitzen Ohren als Beineberg einen Brutalo im Machtrausch vor, während Emma Lotta Wegner als Reiting eher mitmacht.

Eine starke Ensembleleistung, eine Antwort auf die Fragen am Anfang dieser Rezension gibt die Inszenierung von Benjamin Junghans allerdings nicht.