Der drischt mit zerfleischten Akten auf die Bürokratie ein

Utopische Glückseligkeit

Tamó Gvenetadze: EUdaimonía

Theater:Theater Plauen-Zwickau, Premiere:15.11.2024Regie:Tamó Gvenetadze

Mit „EUdaimonía“ von Tamó Gvenetadze bringt das Theater Plauen Zwickau eine wichtige Inszenierung auf die Bühne. Bei dieser Medea-Rezeption gibt es berührende Momente, viele Lacher und am Ende steht das Publikum.

Erekle sitzt schon nervös im Warteraum der Ausländerbehörde auf der Bühne als das Publikum sich setzt, zappelt mit den Beinen und hält seine Unterlagenmappe umklammert. „Zum ersten Mal hier?“, fragt Dea, die aus andauernder Warteraumerfahrung schon immer ein Buch dabei hat (Eure Heimat ist unser Albtraum) und sagt noch: „Dann ist der Schleier noch nicht gefallen.“

EUdaimonía“ ist eine von vier Uraufführungen der Theater Chemnitz, Plauen-Zwickau, des Mittelsächsischen Theater Freiberg und des Eduard-von-Winterstein-Theaters Annaberg-Buchholz im Rahmen von „Inside outside Europe“, einem Projekt für Chemnitz 2025. In „EUdaimonía“, Tamó Gvenetadzes eigener Medea-Rezeption, befindet sich Erekle (Herakles) am Scheideweg seiner Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in Deutschland. Der Begriff Glückseligkeit (aus dem Griechischen „Eudaimonía“), die ein gutes Leben in Deutschland verspricht, wird hier mit der EU verschränk und von Gvenetadze als „ein utopisches Versprechen von Glückseligkeit“ untertitelt. Erekle will beim „ersten McDonald’s Restaurant der Neuen Bundesländer“ in Plauen arbeiten, als studentische Hilfskraft aus dem Ausland. Als „Gastarbeiter“ verbessert ihn Dea.

Die dritte Figur im Stück ist „Die Bürokratie“ als körpergewordene Aktenfressermaschine, die Wartenummern schluckt, sich die Schnipsel aus dem Reisswolf in den Kragen stopft und Yoga macht, um flexibel zu bleiben. „Wiuwiuwiu“ heult sie, als Erekle nach einer Ausnahme fragt. Ohne Arbeitsvertrag bekommt er kein Visum, ohne das Visum aber auch keinen Arbeitsvertrag.

Was ist Heimat?

Gvenetadze verwebt den Mythenstoff um Medea und Herakles mit ihren eigenen Erfahrungen, deutscher Integrationspolitik, ihrer georgischen Herkunft und dem Ort der Uraufführung – Dea arbeitet als Ärztin im Helios Vogtland-Klinikum in Plauen. Sie zeichnet mit ihrem Text ihre eigene Wahrnehmung eines Heimatbegriffs und die Schwierigkeit einer Definiton davon. Dea und Erekle bereiten Khinkali zu, tanzen dann zum deutschen Volkslied „Ach bleib bei mir und geh nicht fort“. Beim Zusehen wird die gefühlte Absurdität greifbar, die nicht nur der Wunsch nach Zugehörigkeit auslösen kann, sondern einfach der Versuch, die eigene Identität zu verorten. Gvenetadze schreibt dabei Medea aus Kolchis an der Ostküste des Schwarzen Meeres, die dann nach Korinth und Athen flieht, in ihrer Version zum ersten Beispiel misslungener Integrationspolitik.

Schließlich sitzt  die Bürokratie weinend auf Erekles Schoß und erzählt aufgelöst, wie schwer ihr ihr Job in ihrem Büro in Sachsen falle, auch aus Überforderung der „übergestülpten“ deutschen Wiedervereinigung. Neben diesem kurzen Ausbruch spielt Ensemblemitglied Patrick Bartsch die Bürokratie stramm, streng, steif, stempelt wie eine Maschine im Takt Dokumente mit „abgelehnt“ und singt „Behind Blue Eyes“. Erekle wird durch Schauspieler Philipp Andriotis ein verunsicherter, aber hoffnungsvoller Herakles, dem wahnsinniges aufgebürdet wird und der durch seine schlimmen Erfahrungen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen hat.

Gegen „Heteronationalismus“

Sophie Hess vereint in der Figur Dea eine Mischung aus Verzweiflung, Mut, Wut und Verletzlichkeit. In ihrem Kostüm mit echter Plauener Spitze (Kostüm: Rabea Stadthaus) drischt sie am Ende mit den zerfressenen Akten auf die Bürokratie ein: „Dann gebe ich euch den gewalttätigen Showdown.“ Gvenetadze gelingt dabei in ihrer Inszenierung die Auseinandersetzung mit der vielseitigen Rezeption des Medea-Mythos mit der Figur als beschuldigte Mörderin aber auch Heilerin; und die Verbindung von tiefer Ernsthaftigkeit und gleichzeitig viel Humor und Selbstironie.

Die Regisseurin kritisiert hier vieles, Politik, Nationalstolz, „Heteronationalismus“, wie er auch in Georgien praktiziert wird. Dennoch gelingt ihr eine Überstülpung ihrer Perspektive darauf, was Deutschland und auch Georgien für sie ausmacht: eine Vielfalt an Traditionen, Geschichten und Erfahrungen – gegenteilig zu „divide et impera“ (teile und herrsche). Und das Theater Plauen-Zwickau wagt eine Uraufführung zur richtigen Zeit am richtigen Ort, die hoffentlich viel besucht werden wird.