Foto: Im Bild: Rebecca Seidel, Laman Leane Israfilova, Gunnar Schmidt und Nikita Buldyrski. © Chris Frühe
Text:Björn Hayer, am 4. November 2024
Das Badische Staatstheater Karlsruhe zeigt Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches” in einer bildstarken Inszenierung von Timofey Kuljabin als Topografie eines Zerfalls.
Spielplangestaltung ist immer auch Politik, gerade in solch düsteren wie herausfordernden Zeiten. Und so überrascht es kaum, dass das Badische Staatstheater Karlsruhe angesichts des weltweit aufstrebenden Rechtsnationalismus einen antifaschistischen Klassiker Bertolt Brechts ins Programm genommen hat, nämlich „Furcht und Elend des Dritten Reiches“. Bereits im Exil verfasst, setzt es sich aus mehr als dreißig Einzelszenen zusammen, die allen voran die Psychologie des Terrors vor Augen führen.
Wie ein Virus schleicht sich die Angst in die Köpfe der Menschen. Ein Ehepaar versteckt sich unter dem Tisch, nachdem es beobachtet hat, wie der von ihnen verratene Nachbar brutal zusammengeschlagen wird, eine jüdische Frau lässt unversehens ihr bisheriges Leben hinter sich, derweil erfährt eine Frau vom Tod ihres Bruders im Rahmen eines Flugmanövers. Das System und mit ihm die drohende und virulente Gewalt erweisen sich als allpräsent – selbst dann, wenn seine Schergen nicht unmittelbar zu sehen sind.
Schwarz dominiert die Guckkastenbühne
Regisseur Timofey Kuljabin zeigt daher allein die Menschen in der Enge der Furcht. In einer Guckkastenbühne wechseln sich die Szenen nacheinander ab, wobei sie alle das dominante Schwarz verbindet (Bühne: Oleg Golovko). Lediglich Türen und Mobiliar setzen sich vom monochromen Hintergrund der Interieurs ab, dessen beklemmende Atmosphäre noch durch einen permanent raunenden Sound unterstützt wird. Die kleinen Räume, die kein Außerhalb zulassen, gleichen damit Gefängnissen. Es wirkt ganz so, als seien die Figuren von Anfang an lebendig begraben. Dass sie überdies zum Ende jeder Szene im dunklen Nichts versinken, sobald die Kulissen ausgetauscht werden, macht deutlich: In dieser Welt gibt es keine Hoffnung mehr, geschweige dem einen Rest Vertrauen.
Am schauerlichsten dokumentiert eine Familienszene die Brüchigkeit fest geglaubter Bande. Als der gemeinsame Sohn erst viel später als vermutet von einem Einkauf zurückkommt, befürchten Vater und Mutter, er hätte ihre regimekritische Haltung an Staatsbeamte kolportiert. Um ihre zunehmende Verunsicherung, ja ihr zersetzendes Grübeln zu veranschaulichen, schrumpft das Wohnungsfenster mit jeder neuen Szene stetig weiter. Dagegen gewinnt ein Bild mit einem Brillengesicht immer weiter an Größe. Die Freiheit geht zugrunde, während der denkbare Spitzel allmählich zum Riesen wächst.
Der Abend: eine Mahnung
Was das Ensemble, darunter Frida Österberg, Heisam Abbas und Gunnar Schmidt, auf die Bühne bringt, lässt sich als Topografie Zerfalls beschreiben. Eine Gesellschaft verliert ihre Menschlichkeit und erstarrt im Angesicht einer extrem perfiden, überragenden und nicht mehr aufzuhaltenden Macht. Sie kann wiederkehren, auch in unserer Epoche, was sich in Karlsruhe mitunter an der Verwendung von Handys und Laptops durch manche Figuren zeigt.
Sieht man von der etwas zähflüssigen Komposition, die insbesondere auch Brechts recht statischer Vorlage geschuldet ist ab, so kommt die Stärke des Abends allen voran in seiner Mahnung zum Ausdruck. Die Vergangenheit könnte die Zukunft werden, wenn wir nicht achtsam sind, so die finstere, aber dringliche Botschaft.