Foto: © Marc Lontzek
Text:Manfred Jahnke, am 16. September 2024
Mit der Geschichte der Madonna und Mythen, die mit dem Frau-sein verbunden werden, beschäftigt sich Regisseurin Marlene Schäfer. Amanda Lasker-Berlins „Madonnen“ wird am Theater Ulm uraufgeführt und erzählt über drei Generationen hinweg.
„Madonna“ wird Maria in Darstellungen genannt, mit dem Jesuskind auf dem Schoß. In „Madonnen“, als Auftragsarbeit für das Theater Ulm entstanden, hat die junge Autorin Amanda Lasker-Berlin Geschichten von Frauen – lebenden und toten – gebündelt, die um Selbstbestimmung kämpfen, um Kinderwunsch und Abtreibung, um den Kampf gegen den Paragrafen 218. So entsteht ein Panorama von weiblichen Biografien über Generationen hinweg seit 1968. Die darin enthaltene politische Dimension wird besonders deutlich am Lehrerehepaar Mechthild und Hans-Günter mit linker Vergangenheit. Maurizio Miksch führt beklemmend genau vor, wie subtil Frau unterdrückt wird: totales Mansplaining. Emma Lotta Wegner spielt „seine“ Gattin, erst leidend verhuscht, dann immer mehr an Empowerment gewinnend.
Das Ensemble des Theater Ulm in „Madonnen“ . Foto: Marc Lontzek
Schmerzhaftes Erinnern
Die beiden anderen Geschichten erzählen von Frauen, die im Verstummen scheitern. Die religiös eingestellte Anna (Lebenstraum: Missionarin) erinnert sich an ihre Schwester Anita, von Adele Schlichter zornig angelegt, die dem Leben zugewandt 1972 bei einem Abtreibungsversuch gestorben ist. Da prallen zwei verschiedene Lebensentwürfe heftig aufeinander. Die Anna von Christel Mayr zeigt, wie schmerzhaft – und wie gegenwärtig – Erinnerung sein kann. In anderen Szenen begegnen sich drei Generationen. Isolde (Friederike Pöschel) hadert mit ihrer gerade gestorbenen Mutter Ruth (Christel Mayr mit Stock). Zusammen mit ihrer Tochter Clara (Adele Schlichter), die sich verzweifelt ein Kind wünscht, sichtet sie den Nachlass (leere Tagebücher ihrer Mutter). Isolde muss erkennen, wie wenig sie von ihrer Mutter weiß, die sich mit 36 in Naomi verliebte und mit ihr zusammenlebte. Auch hier bleibt schmerzhaftes Erinnern.
Die junge Autorin hat genau historisch recherchiert. Den einstigen Vorurteilen gegen die Pille und gegen Abtreibung setzt sie Szenen entgegen, in denen ein Chor sprachgewaltig mystifizierend drei Ikonen feiert: die Madonna Maria selbst, die antike Dichterin Sappho und die Suffragette Emily Davison. Nazareth, Lesbos, London werden als Orte beschworen. Eine Demo gegen den Paragrafen 218, die sowohl 1913 als auch 1972 hätte stattfinden können, wird vorgeführt. Die alte Frage, ob eine selbstbestimmte Frau Heilige oder Hure sei, wird aufgeworfen, der Kampf um Emanzipation derart über die politische Dimension hinaus in eine mythologische erweitert. Marlene Schäfer verschärft diese in ihrer Regie, indem sie die Chorszenen mit Projektionen unterstützt, in denen die Elemente Luft, Wasser, Feuer auftauchen, Blitze durch den Raum schießen und Donner grollt.
Frederike Pöschel, Adele Schlichter. Foto: Marc Lontzek
Das Bühnenbild der „Madonnen“
Für die Uraufführung von „Madonnen“ hat Christin Treunert (Ausstattung) auf die große Bühne des Theaters Ulm eine Kirche gestellt, mit spitz zulaufendem Dach, an den Seitenwänden mit jeweils drei Fenstern und zwei Eingängen, beim vorderen mit schweren Holztüren. Stühle sind rechts und links wie Kirchenbänke angeordnet. Auf der linken Seite hinten ein Harmonium, in der Apsis eine (lebende) Marienfigur, davor der Tisch mit den Kerzen. Im Dunkel huschen zu Beginn die Figuren in den Raum zünden Kerzen an, beseitigen das Vorsichtsschild, das aufgestellt wird, wenn Böden frisch geputzt sind.
Die Regie von Marlene Schäfer lässt am Anfang dem Publikum viel Zeit, sich in das Bild einzuschauen: die Aufführung beginnt wie ein Gottesdienst, eine Hommage an Maria, die hier – von einer Statistin dargestellt, am Anfang den Erwartungen von Gläubigen erfüllt, dann im Verlaufe der Vorstellung immer mehr aus der Rolle fällt, raucht, im Nacktkostüm auftritt, kurz: auch für sich ein selbstbestimmtes Sein ausprobiert, zu einer „queeren“ Madonna wird, wie im Programmheft zu lesen ist.
Feinfühlige Figurenentwicklung
In diesem Raum finden auch die Geschichten der Anna, der Isolde und der Mechthild statt. Bei einem Wutanfall werden Stühle umgeworfen oder Anna schiebt einen Teewagen mit Isolierkanne und einer Dose voller Kekse in diesen Raum. Schäfer lässt, wie schon erwähnt, zu Beginn viel Zeit, sich in die Figuren einzufühlen, bevor sie dann diese in große emotionale Ausbrüche treibt. Die Schauspieler:innenführung ist überzeugend. Ein spannender Theaterabend mit einem neuen Stück, bei dem die junge Autorin packend Geschichten von Frauen aus drei Generationen von 1972 bis heute erzählt.