Foto: Der neue Pakt in „MetaFAUST.“ mit Niclas Kunder und Gregor Eckert © Laura Ritter
Text:Detlev Baur, am 8. September 2024
Zum Start ihrer Intendanz am Wolfgang Borchert Theater Münster inszeniert Tanja Weidner den Klassiker um einen weißen älteren Mann. Dabei zeigt sie in „metaFAUST“ eine kompakte Fassung des ersten Teils, der auch Szenen aus dem zweiten Teil von Goethes Tragödie mit dem Motiv Künstliche Intelligenz verbindet. Fazit: Viel gewagt, einiges verloren und manches erreicht.
„Faust 1“ plus Szenen aus „Faust 2“ in gut zwei Stunden, das ist auf der begrenzten Bühne des knapp 150 Menschen fassenden Wolfgang Borchert Theaters in Münster ein ambitioniertes Vorhaben. Regisseurin Tanja Weidner hat sich dabei nicht nur von Dramaturgin Laura Ritter, sondern auch von ChatGPT beraten lassen. Gregor Eckert wirkt als Faust kaum wie ein verschrobener unbedingt Suchender, eher wie ein erschöpfter, frustrierter Mann in einer Lebenskrise, der mit Hilfe einer VR-Brille neue Welten sucht. Statt manischer Hingabe zur Magie im Text sehen wir eher die fast alltägliche Suche nach alternativer Unterhaltung. Hingegen erscheint Niclas Kunder in der Rolle des Mephistopheles schon durch die Ninja-ähnliche schwarze Kleidung (Bühne und Kostüme: Annette Wolf), aber auch durch die farblich flexiblen Leuchtröhren am Oberkörper wie eine Figur aus dem virtuellen Raum.
Neuer Pakt
Der Pakt mit dem Teufel ist im Untertitel „Der Pakt mit der Zukunft“. Mephisto beschreibt sich als „Reiseleiter“, wird Faust später durch die digitale Kraft seines elektrifizierten Körpers Mut zur gnadenlosen Aktivität als Kriegsherr, Politiker und Bauherr übertragen. Doch verschafft die Verbindung der ambivalenten Teufelsfigur, die „stets das Böse will und stets das Gute schafft“ mit der uns unheimlichen Welt von KI und Metaversum über Äußerlichkeiten hinaus wenig Ausstrahlungskraft oder Spannung. Kunders Mephisto wechselt teils zu osteuropäischem oder österreichischem Akzent, agiert mit den Hexen in einer digitalen Party-Welt, wird aber nie zur reinen Kunstgestalt. Die Titelfigur von Gregor Eckert hat es lange schwer über den wohltönenden Herren auf der Suche nach dem Kick hinaus ein Profil zu entwickeln.
Die durchgehende Mikrofonierung (bei recht lauter Ausspielung des Tons) und der begrenzte Raum auf der flachen Bühne sorgen zudem für eine Einebnung des Spiels. Die Inszenierung erzählt konzentriert auf zentrale Szenen vom Pakt des Herrn (Ivana Langmajer in sechs weiteren Rollen) mit dem Teufel, vom Teufelspakt und der Gretchentragödie. Katharina Hannappel gelingt dabei eine natürlich wirkende junge Frau zu zeigen und immer wieder Akzente dieser Opferfigur zu setzen, etwa wenn sie „Mein Ruh ist hin“ mit einer provozierenden Freude spricht.
Gretchen-Tragödie und der Tragödie zweiter Teil
Nach der Pause verschränkt die Inszenierung das Ende Gretchens mit dem rücksichtslosen Macher aus „Faust 2“, fast als kompensiere der Manager hier sein Versagen als Liebender. Als sich überschätzender Unternehmer gewinnt dieser Faust an Intensität. Da spielt Tara Oestreich auch den Homunculus, der sich von seinem Macher Wagner (Florian Bender) emanzipiert. Auch als der klerikal-strenge Bruder Gretchens gelingen dem Darsteller klare Rollenprofile.
Goethes Lebenswerk „Faust“ auf das Thema Künstliche Intelligenz zu konzentrieren, ist ein mutiges Unterfangen. Das führende Privattheater in Münster geht – vermutlich bewusst – dieses Experiment nicht mit letzter Konsequenz an, sondern bietet seinem Publikum zugleich eine kompakte „Faust“-Fassung. Im Hexeneinmaleins ergänzen Verse wie „Durch Vier halte mit, füg hinzu ein Bit“ den sonst kaum veränderten Originaltext. Videoeinspielungen (Tobias Bieseke und Jan Schulten) unterstützen KI-Welten, werden aber eher am Rande eingesetzt. Die souveräne Inszenierung ist ein Anfang für einen erweiterten Blick auf das Versdrama und sie steht mit am Beginn zahlreicher „Faust“-Inszenierungen im Goethe-Jahr.