Glückwunsch Goethe!

Johann Wolfgang von Goethe wäre heute 275 Jahre alt geworden. Auch wenn sein „Faust“ zuletzt weniger gespielt wurde, bleibt der Dichter aktuell. Goethes kosmopolitischer Blick in seiner Wahlheimat Weimar ist wenige Tage vor der Landtagswahl in Thüringen wichtiger denn je.

„Goethe war gut“, dichtete einst Rudi Carrell, ziemlich allgemein und doch nicht falsch. Der Dichterfürst aus Weimar, der pragmatische Theaterdirektor, Universalgelehrte und Italienfreak ist vor genau 275 Jahren geboren. Herzlichen Glückwunsch. Sein Werk ist komplex und doch verglichen mit Zeitgenossen (seines langen Lebens) wie Wieland oder Hölderlin etwa leicht verdaulich. Er hat in allen literarischen Genres brilliert, war mit „Werther“ stürmischer Newcomer einer neuen emotionalen Identitätsliteratur, dann der deutsche Klassiker schlechthin und über ein halbes Jahrhundert nach dem „Werther“ mit dem „Faust II“ Autor eines Dramas, das alle Grenzen von Zeit, Gattung und Theaterrealität sprengte.

In den Schulen ist das deutsche Drama „Faust I“ seit einigen Jahren auf dem Rückzug, ebenso auf den Bühnen. In unserem Beitrag zur neuen Werkstatistik, die sich auf die Spielzeit 2022/23 bezieht, ziehen wir folgendes Fazit: „Der deutsche Klassiker, Goethes „Faust“, wird (jedenfalls im Originaltext) immer seltener gespielt. In der Saison 2022/23 sind acht laufende Inszenierungen verzeichnet, in der Saison zuvor waren es noch 11, in der Vor-Corona-Spielzeit 2018/19 noch 20.“

Der Hauptgrund dafür ist meiner Meinung nach, dass ein alter, intellektueller weißer Mann bei den derzeitigen Diskursen nicht unbedingt als Hauptfigur taugt. Allenfalls für Umschreibungen wie Fatma Aydemirs „Doktormutter Faust“, das in der letzten Saison uraufgeführt wurde und nun erneut inszeniert wird. Besonders die Frauenfigur, Fausts Opfer Gretchen ist ohne Umdeutung kaum noch denkbar, schon seit einigen Jahren gibt es die brillanten Umdeutungen „Faustin and out“ von Elfriede Jelinek oder Ewald Palmetshofers „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“. Von Jelinek bis Aydemir lädt der Klassiker „Faust“ bei allem Verlust an Bedeutung zum kritischen Dialog ein.

Goethe-Ausblick in die Saison

In der anlaufenden Spielzeit wird der „Faust“ übrigens wieder häufiger inszeniert. Das mag auch am Jubiläum liegen. Es deutet aber einiges daraufhin, dass er zur Auseinandersestzung einlädt. Neben den „Goethe“-Inszenierungen stehen zahlreiche Bearbeitungen auf dem Programm, die spannend werden könnten, unter anderem in Goethes Geburtsstadt Frankfurt, wo Jan-Christoph Gockel beide Faustteile miteinander verbinden möchte. Am Jungen Schauspielhaus in Düsseldorf nimmt Felix Krakau dann noch einen dritten Teil dazu. Diese vier Inszenierungen werden wir im nächsten Heft der DEUTSCHEN BÜHNE genauer beschreiben:

Hanna Müller: „Droge Faust“ (U 06.09.24, R: Janette Mickan, Staatsschauspiel Dresden)

ChatGPT: „MetaFAUST“ nach Johann Wolfgang von Goethe (R: Tanja Weidner, WBT Münster 7.09)

Johann Wolfgang von Goethe und Felix Krakau: „Faust 1 + 2 +3“ (15.9. Junges Schauspielhaus Düsseldorf, R: Felix Krakau)

Johann Wolfgang von Goethe: „Faust 1 & 2“ (R: Jan-Christoph Gockel, Frankfurt 19.09.)

Zurück zur Bilanz der vorletzten Saison in der Werkstatistik: Da finden sich unter den 25 meistinszenierten Schauspielen der Saison immerhin noch 14 Klassiker. Abgewirtschaftet haben die alten Herren also noch nicht. Shakespeare (mit seinen zahlreichen Komödien und Tragödien) führt mit 95 Inszenierungen nach wir vor die Liste der meistgespielten Dramatiker an. Unter den ersten zehn taucht Goethe nicht auf, wohl aber bei den Autoren von Literaturvorlagen: Durch „Die Leiden des jungen Werthers“ kommt Goethe hier mit 22 Inszenierungen knapp nach Franz Kafka.

Die Ferne Goethes kann sich auch zum Vorteil wandeln – bei einer Wieder-Entdeckung seiner Werke. Als wahrer DICHTER erlaubt er uns einen Urlaub von unserem geschäftigen Treiben:

„Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.“

Goethe war Beamter und Minister in seiner Wahlheimat Weimar. Und er blickte von dort aus intensiv in die Ferne, versuchte im „West-östlichen Divan“ deutsche und morgenländische Kultur einander näher zu bringen. Wenige Tage vor der Landtagswahl in Thüringen ist uns im Sinne Goethes zu wünschen, dass Weimar und andere Orte in diesem schönen Land nicht die Abschottung von der Welt wählen. Dass wir ab Montag nicht mit dem frustrierten Doktor Faust seufzen müssen: „Fluch sei der Hoffnung“, sondern vielmehr zum Augenblick sagen: „Verweile doch, du bist so schön!” Ein Glück-Wunsch – mit Goethe.

Wer seine „Faust“-Lektüre auffrischen möchte und in „Faust I“ und „2“ reinlesen, der/die kann das im Graphic Drama „Faust“ in der jungen bühne von 2019 ab Seite 14 tun.