Foto: Die Schüler:innen der Schauspiel Schule Hamburg stehen betroffen auf der Bühne. © Olaf Weiss
Text:Jens Fischer, am 26. August 2024
Bernhard Schlink ist als Autor vor allem für seinen Roman „Der Vorleser“ bekannt. Jetzt zeigen die Hamburger Kammerspiele Schlinks erstes Theaterstück „20. Juli“. Unter der Regie von Franz-Joseph Dieken konfrontiert die Inszenierung ihr Publikum mit aktuellen politischen Debatten.
Die Zutaten der dramatischen Gemengelage auf einer Abifeier sind wirkungsvoll komponiert. Im Geschichtsunterricht wurde lang und breit der Nationalsozialismus verhandelt. Die Schüler:innen entdeckten die Widerstandskämpfer:innen als Loser, weil sie den Holocaust nicht verhindert haben. Gleichzeitig predigte der Lehrer Zivilcourage, aufrechten Gang, moralische Pflichten etc. Und dann findet die Feier ausgerechnet am 20. Juli statt. Der Tag, an dem Adolf Hitler vor 80 Jahren dank Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Co. mit einem Bombenanschlag getötet werden sollte. Zudem erreicht eine rechtspopulistische Partei, die Deutsche Aktion (DA), bei Wahlen über 30 Prozent – Tendenz stetig steigend. Wenn man an die Landtagswahlen nächstes Wochenende in Thüringen und Sachsen denkt, ist die Ausgangssituation des Stücks ein aktuell hoch brisantes Szenario.
Regisseur Franz-Joseph Dieken findet gleich zu Beginn ein kraftvolles Bild. Jede Figur springt in ihrer ganz eigenen Empörungsart an die Rampe: mit aggressiv verzerrter Mimik, zuckenden Fäusten, Kampfsport-Tritten oder panisch aufgerissenen Augen. Das siebenköpfige Ensemble kommt von der Schule für Schauspiel Hamburg. Es entwickelt einen enormen Drive, der die Dringlichkeit ihres Anliegens deutlich macht, zeigt aber auch, dass noch keine Vollprofis auf der Bühne stehen.
Ist es notwendig und gerechtfertigt, auf den Rechtsruck in der Gesellschaft mit Gewalt gegen deren Propagandisten vorzugehen, um noch Schlimmeres zu verhindern?
„Wer zu spät schießt, den bestraft das Leben“, heißt es im Stück. Auf der Bühne ist es ein sprachmächtig smarter Vertreter der jungen gebildeten Rechten, Rudolf Peters. Constantin Moll spielt ihn mit einer gefährlichen Souveränität und darf in knuddeliger Harmlosigkeit auch noch einen Alt-68er darstellen. Eine Doppelbesetzung, die inhaltlich interpretiert als Gleichsetzung von rechtem Aufstand und linkem Ruhestand äußerst fragwürdig ist.
Meinungs-Ping-Pong
Die Bühne ist ein Kampfzonenquadrat, von Traversen und Bänken begrenzt. Der rasant vorgetragene, prononciert formulierte Argumente- und Meinungs-Ping-Pong wird ab und an durch Musikzuspielungen übertönt und immer wieder eingenebelt. Aber die Eskalationsdynamik der Debatte funktioniert. Ausgangspunkt ist die These, zu spät wären die Attentate auf Hitler erfolgt, um den Aufstieg der NSDAP zu verhindern. Dieser Fehler soll sich nicht wiederholen, so ereifern sich die Jugendlichen.
Sofort kommt Gegenwind vom Lehrer, Straf- und das Völkerrecht erlaubten keinen präventiven Mord. Nur gewinnt diese Position wenig Gewicht, da der Lehrer von Schlink als handlungsinkompetenter Großschwätzer angelegt ist. Er bedient, eine der Abiturientinnen geschwängert zu haben und sie fortgesetzt nur als Geliebte am Wochenende nutzen möchte. Insgesamt bleiben die theatralen Mittel etwas plump, beispielsweise muss extra ein Hund totgefahren werden, damit eine Figur zeigen kann, wie nah am Wasser ihr Gemüt gebaut ist.
Debatten mit Aktualität
Die jungen Hitzköpfe diskutieren mit postpubertärem Übermut und beginnen das Attentat zu planen. Natürlich ist das nicht neu. Kürzlich wurden in Dresden linksradikale Aktivist:innen zu mehrjährigen Haftstrafen für Gewalt gegen Neonazis verurteilt. Satirisch eine Stufe weiter geht Die Partei und hängt in diesem Jahr Wahlplakate mit dem Spruch „Nazis töten.“ auf.
Im Stück sind solche Positionen immer ein schmaler Grat zwischen gerechtem Zorn und aktivem Terrorismus. Es gibt auch den Verweis auf die RAF, aber die historische Parallelisierung der politischen Entwicklungen in der Weimarer Republik und dem heutigen Deutschland wird nur andeutungsweise kritisiert.
Als die Weltretter-Euphorie der Jugendlichen angesichts wachsender Zweifel und Probleme schwächelt, zünden Rechte ein Geflüchteten-Wohnheim an, wie erzählt wird, und so stehen alle provoziert, provozierend wieder an der Rampe – ringen um eine Reaktion und singen „Smells like teen spirit“ von Nirvana. Ein kluger Einwand der Regie für diese leidenschaftlich dargebotene Premiere des textlich aber doch arg pädagogisch auf Frontalunterricht setzenden, sehr grob gestrickten und in der Haltung eben doch unentschiedenen Stücks.