Szene mit Thomas Hauser auf einem Hocker sitzend in „Homeoffice” am Schauspielhaus Düsseldorf

Deutsch-japanische Zusammenarbeit: Thomas Hauser und Toshiki Okada

Der Schauspieler Thomas Hauser arbeitet seit 2016 mit dem japanischen Regisseur Toshiki Okada zusammen, zuletzt in „Homeoffice“ am Düsseldorfer Schauspielhaus. Über eine besondere interkulturelle Zusammenarbeit

Der Titel des Stücks „Homeoffice“, das seit April 2024 zwischen Klassikern wie „Richard III“, „Peer Gynt“ oder „Woyzeck“ auf dem Spielplan des Düsseldorfer Schauspielhauses steht, klingt allzu bekannt. Seit der Coronapandemie assoziieren wir Erlebnisse, Bilder und Gefühle mit dem Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden. Homeoffice, das kennen wir! Oder vielleicht doch nicht?

Toshiki Okada, der gefeierte japanische Regisseur, verpackt den vertrauten Stoff im Großen Haus in eine verstörende Ästhetik. Die Art und Weise, wie seine Figuren auf der Bühne agieren, erscheint uns fremd. Wir hören, was sie sagen, und sehen Bewegungen, die auf seltsame Art nicht zum Text passen. Sieben Angestellte einer Firma treffen sich da zum Onlinemeeting. Bühnenbildner Ansgar Prüwer hat für Okadas Vision eine Art überdimensionale Puppenstube auf zwei Etagen gebaut. Hier kommt die Gruppe zusammen, kommuniziert aber nur via Bildschirm. Jeder bleibt in seinem Zimmer.

Die Handlung spielt bei „Homeof­fice“ eine Nebenrolle. Es geht um ein kurioses Glücksversprechen der Firma, das im Netz einen Shitstorm ausgelöst hat. Damit muss sich das Team nun im Meeting auseinandersetzen. Aber wie es das tut, welche Bewegungen das Gesagte untermalen, wie sich Körperlichkeit und Text voneinander entfernen und so dem Unterbewussten eine Bühne bereiten, das steht im Zentrum von Okadas einzigartiger Theaterkunst.

Deutsch-japanische Zusammenarbeit

„Ich mag es, wenn ich spüre, dass das Publikum erst mal irritiert ist“, sagt Thomas Hauser. Der Münchner Schauspieler ist als Gast Teil der Düsseldorfer Inszenierung. Wir haben uns in einem japanischen Restaurant verabredet, um über das Besondere dieser interkulturellen Arbeit zu sprechen. Für Thomas Hauser ist es die sechste Zusammenarbeit mit Toshiki Okada. 2016, als er frisch von der Schauspielschule an die Münchner Kammerspiele engagiert wurde, stand er in „Hot Pepper, Air Conditioner and the Farewell Speech“ auf der Bühne, Okadas erster Regiearbeit mit einem deutschen Ensemble.

„Schauspieler:innen, die zum ersten Mal mit mir arbeiten und sich mit meiner Methodik beschäftigen, sind am Anfang meist verstört.“ Das sagt ­Toshiki Okada über die Wirkung seiner Theaterarbeit, und so ist es auch Thomas Hauser ergangen, der damals noch nicht viel über seine Heran­gehensweise wusste.

Imagination als Inszenierungs-Methode

Bevor der Regisseur mit den Proben beginnt, gibt es für das Ensemble einen Workshop, der sich um das zentrale Instrument von Okadas Arbeit dreht: die Imagination. Die Darsteller:innen müssen in der Lage sein, aus den Texten eigene Bilder im Kopf zu entwerfen. Aus dieser Vorstellungskraft entstehen dann die Bewegungen völlig unabhängig vom Text. Für Okada ist die Imagination der Choreograf. Die Bilder im Kopf steuern die Körper.

Auf der Bühne formt sich auf diese Weise ein Potpourri höchst individueller, skurriler Bewegungen. Im Zusammenspiel mit den Texten entsteht eine Szenerie, die etwas Absurdes hat. Wenn Thomas Hauser in „Homeoffice“ während des Onlinemeetings als Motojiro auf dem Küchenstuhl balanciert, seine Arme ausbreitet, als hätte er Flügel, und sich zum Absprung bereit macht, dann ist das vor allem deshalb befremdlich, weil er dazu nüchterne Sätze wie diesen sagt: „Die Firma, für die ich arbeite, hat keinerlei Daseinsberechtigung.“ In einer anderen Szene läuft er mit seinem Laptop immer wieder um den Küchentisch herum, so als hätte er kostbares Porzellan in den Händen, und erklärt: „Dieses Meeting gleich ist ein ganz reguläres Meeting. Es gibt keine besonderen Tagesordnungspunkte.“ Später wird er bäuchlings auf dem Küchentisch liegen und Schwimmbewegungen machen oder mit dem Computer auf dem Rücken über den Boden krabbeln.

„In der ersten Produktion musste ich erst mal nach meiner Fantasie suchen“, erinnert sich Thomas Hauser. Aber dann hat es nicht lange gedauert, bis er Toshiki Okadas Handschrift lesen und auch fühlen konnte. Der 32-Jährige angelt Nudeln mit Stäbchen aus der Suppenschüssel, während er darüber sinniert, wie ihn acht Jahre deutsch-japanische Arbeit geprägt haben.

„Mit Toshiki hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass mir jemand nicht vorschreibt, wie etwas geht, sondern dass es aus mir heraus entsteht.“ Für ihn ist das ein Gefühl der Freiheit. „Weil ich alles ausdrücken darf, was ich mir in dem Moment vorstelle.“ Das sei ähnlich spaßig, wie als Kind auf dem Spielplatz zu toben.

„Homeoffice” am Düsseldorfer Schauspielhaus

Wenige Stunden nach unserem Mittagessen wird Thomas Hauser seine Figur Motojiro am Home­office-Arbeitsplatz in einer Küche die seltsamsten Verrenkungen machen lassen und so auch sein ­persönliches Innerstes nach außen kehren. Dabei wird er einen Teil des Textes auf Japanisch sprechen und singen. Während der Pandemie hat er die ­Sprache gelernt.

„Thomas hat Toshikis Arbeit sehr früh intuitiv verstanden“, sagt Makiko Yamaguchi. Sie ist als Dramaturgin und Übersetzerin Teil des Teams und arbeitet seit 2016 mit Toshiki Okada. „Die beiden sind ein Traumduo“, sagt Thomas Hauser wiederum über sie. Makiko übersetze die Texte auf eine so einfühlsame Art, indem sie die Persönlichkeiten der Schauspieler:innen studiere und ihnen die Sprache von Okada auf den Leib schneidere.

Japan und Deutschland trennen nicht nur 10.000 Kilometer und im Sommer sieben Stunden Zeitunterschied. Auch zwischen den Theaterkulturen liegen Welten. Das japanische Regieteam staunt darüber, wie offen und engagiert sich die Deutschen bei den Workshops Feedback zu den Experimenten mit der Imagination geben. Und Thomas Hauser ist zu einem Vermittler der Theaterkulturen geworden. Toshiki Okada lobt, wie er dem Ensemble helfe, die spezielle Bewegungssprache zu verstehen. Gleichzeitig schärfe der Schauspieler aber auch den Blick des Regisseurs für die Qualitäten, die das deutsche Team zu bieten hat.

Seit 2016 sind Toshiki Okada und Thomas Hauser aneinander gewachsen. „Die Zusammenarbeit mit Thomas ist für mich sehr bereichernd“, sagt Toshiki Okada. Er freut sich über die Kreativität, die aus den kulturellen Unterschieden entsteht und die ihn persönlich mit jeder neuen Produktion mit Hauser weiter voranbringt: „So komme ich an Orte, wo ich noch nie war, und weit darüber hinaus“, beschreibt er die japanisch-deutsche Theaterreise metaphorisch.

Über die Jahre ist eine Freundschaft entstanden. Thomas Hauser war in Japan und Toshiki Okada zum Gegenbesuch in der bayerischen Heimat des Schauspielers: Kühe gucken und ein hausgemachter Schweinsbraten vom Vater inklusive. Wenn sich Thomas Hauser beruflich etwas wünschen dürfte, dann das: „Ich träume davon, mit Toshiki in Japan arbeiten zu können.“ Er denkt allerdings auch an seine Kolleg:innen: „Ich wünsche jedem Ensemble in Deutschland Toshiki Okada als Regisseur.“