Staatsoper Unter den Linden: Schulz blieb im Schleudersitz
Foto: Die Berliner Staatsoper Unter den Linden © Marcus Ebener Text:Matthias Nöther, am 13. August 2024
Seit 2015 hatte Matthias Schulz das Amt des Intendanten der Berliner Staatsoper Unter den Linden inne, was an der Seite von Generalmusikdirektor Daniel Barenboim nicht immer ein leichter Job war. Die Bilanz einer Ärea.
Das Amt des Opernintendanten Unter den Linden war in den vergangenen gut dreißig Jahren ein echter Schleudersitz. Als Intendant konnte man nur dann reüssieren, wenn man die De-facto-Alleinherrschaft des Generalmusikdirektor Daniel Barenboim anerkannte – was auf jeden Fall auf Kosten des Charismas und der künstlerischen Visionen der jeweiligen Amtsinhaber ging. Für Matthias Schulz kam bereits in der Zeit der Vorplanungen seiner Intendanz ab 2015 erschwerend hinzu: Ein Opernhaus Unter den Linden gab es damals gar nicht. Die Sanierung des neobarocken DDR-Baus lief seit 2009, dauerte nach zahlreichen lokalpolitischen Unfällen weit länger als geplant und wurde fast doppelt so teuer wie geplant. In der Folge litt das Image der Staatsoper in der Berliner Bevölkerung und Politik erheblich. Schon das war für den neuen Intendanten eine Hypothek.
Schwieriger Start für Matthias Schulz 2017
Die strukturellen Probleme der Staatsoper waren auf einem Höhepunkt, als Schulz sein Amt antrat: Noch nach der feierlichen Eröffnung des neuen alten Opernhauses im Herbst 2017 funktionierte dieses in vielen technischen Belangen über viele Monate kaum. Schulz musste als Opern- und Berlin-Neuling einen Spielbetrieb etablieren und gewährleisten, musste neben Premieren auch Wiederaufnahmen organisieren, die noch in der jahrelang genutzten Ausweichspielstätte im Westberliner Schillertheater produziert worden waren. Es war bereits auf diese Art ein schwieriger Job, und Schulz machte öffentlich keinen Hehl daraus.
In ihrem Kerngeschäft blieb die Staatsoper dann auch in Schulz’ Ägide das internationale, in der Repertoire-Wahl konservative Star-Haus mit einer Mischung aus Repertoire- und Stagione-Betrieb, die sich in der Barenboim-Ära etabliert hatte. Auch die punktuelle Setzung von prominenten Uraufführungen gehörte dazu: Beat Furrers „Violetter Schnee“ und Peter Eötvös’ „Sleepless“. Ein heimlicher zeitgenössischer Höhepunkt der Schulz-Ägide war die Koproduktion des Musiktheaters „Werckmeister Harmonien“ von Thom Luz über den barocken Musiktheoretiker. Sie fand im ebenfalls neu sanierten Apollo-Saal der Staatsoper statt. Schulz war desto besser, je weiter sein Wirkungsbereich stilistisch von jenem Daniel Barenboims entfernt lag. Je alternativer sein Musiktheater daherkam.
Seine Projekte: Kinderopernhaus und Barocktage
Stoisch, teilweise mit Zweckoptimismus, teilweise auch mit Elan, verfolgte Schulz wie kaum ein Nachwende-Intendant vor ihm eigene Ideen und Projekte – allen voran das Kinderopernhaus und die Barocktage seit 2018 im November. Mit beidem musste er in Berlin nicht bei null anfangen. Die Barocktage knüpften an die alljährliche Alte-Musik-Produktion an, die im wiedervereinigten Berlin lange Jahre, meist durch René Jacobs und die Akademie für Alte Musik Berlin stattfand. Ein Kinderopernhaus bestand bereits im Bezirk Lichtenberg, initiiert von der Sozialmanagerin Regine Lux-Hahn. Es wurde unter der Regie der Staatsoper auf mehrere (sozial teils problematische) Berliner Bezirke ausgeweitet und erhielt Auftrittsmöglichkeiten an der Staatsoper.
Diese Ausweitung wäre ohne den Intendanten Matthias Schulz nicht möglich gewesen, es war im konservativen, elitären Portfolio des Hauses ein Novum, Kindermusiktheater zur Chefsache zu machen. Das Besondere an den Kinderopernhäusern war und ist die konsequente Einbindung von Kindern und Jugendlichen in den Produktionsprozess eines Musiktheaterstücks. Alte Stoffe wurden dabei mutig mit neuen, vielstimmigen Erzählformen verbunden. Die Erzählung hierüber wird allerdings nur dann vollständig, wenn man auch den vorhergehenden Rausschmiss des visionären und charismatischen Staatsoper-Musiktheaterpädagogen Rainer O. Brinkmann erwähnt. Für seinen noch weit progressiveren Ansatz der „szenischen Interpretation von Musiktheater“, der es schon in der unendlichen Barenboim-Ägide schwer hatte, war angesichts von Schulz’ neuen Ideen für die Education-Arbeit endgültig kein Platz mehr.
Der Super-Generalmusikdirektor Daniel Barenboim
Eine große Frage bleibt, ob Matthias Schulz in der Affäre um den alternden und irrlichternden Super-Generalmusikdirektor Daniel Barenboim souveräner hätte agieren können – wahrscheinlich kaum. Als durch eine investigative Recherche des Online-Musikmagazins VAN 2019 Barenboims diktatorisches Gehabe gegenüber der Staatskapelle öffentlich wurde, leitete Matthias Schulz etliche Vermittlungsrunden zwischen Barenboim, dem Orchester und der Berliner Politik. Barenboim allerdings zeigte keine Einsicht, und für eine personelle Kurskorrektur von außen wurde der Star für Berlin als zu wichtig angesehen, das Haus seinerseits war über dreißig Jahre zu sehr auf ihn zugeschnitten worden.
Insofern verhinderte auch die langjährige Kurzsichtigkeit der Berliner Kulturpolitik ein freieres Handeln eines fantasievollen und unprätentiösen Intendanten, der durchaus mehr gekonnt hätte als nur einen schlechten Status quo zu verwalten. Wie sehr sich Schulz in seine schwache Rolle fügte, zeigte sich noch einmal in einer Mediation, bei der er einer von Barenboim offenbar auch körperlich angegangenen Orchestermanagerin nicht den Rücken stärkte. Nicht überraschend richtete sich im anbrechenden weltpolitischen Konflikt um die Ukraine das Augenmerk auf die Staatsoper, da diese immerhin eine Putin-freundliche Sängerin wie Anna Netrebko auftreten ließ. Schulz verteidigte diese Entscheidung.
Als Barenboim zunehmend gesundheitlich angeschlagen war und seine Machtfülle schwand, hatte leider auch Schulz schon genug von Berlin – und gab 2021 die Nichtverlängerung seines Vertrags zugunsten von Zürich bekannt. Immer klarer wurde ab dieser Zeit, dass die Staatsoper sich in einer merkwürdigen Zwischen-Ära befand. Vor allem der inszenatorisch von Dmitri Tcherniakow dürftig ausgearbeitete „Ring des Nibelungen“, der eigentlich als Opus Magnum des Dirigenten Daniel Barenboim geplant worden war, wurde nun aufgrund von dessen Krankheit von Christian Thielemann dirigiert – eine Personalentscheidung durch die Hintertür, bei der Schulz, so schien es, wiederum eher gezogen wurde als dass er selbst zog.
Es war die Einleitung von Vertragsverhandlungen mit Thielemann als Generalmusikdirektor, die bundeskulturpolitisch eingefädelt wurden und bei denen wiederum ein Matthias Schulz maximal die Rolle des Verwalters und Stichwortgebers innehaben konnte. Ob Schulz die Grundlagen dafür gelegt hat, dass seine Nachfolgerin Elisabeth Sobotka als Staatopern-Intendantin erstmals aus dieser Rolle herauswachsen kann, wird sich erst noch zeigen.