Film: CRANKO
Foto: CRANKO © PhilipSichler_ZeitsprungPictures_SWR_PortauPrincePictures Text:Melanie Suchy, am 17. August 2024
Eine wahre Geschichte um Kunst, Liebe und Tod: Der Choreograf John Cranko wird mit einem Spielfilm über sein Leben geehrt. „Cranko“ kommt am 3. Oktober 2024 in die Kinos.
John Cranko wird von Schauspieler Sam Riley verkörpert. Frisur, Statur und Klamotten stimmen. Der Plattenspieler. Dass er pausenlos und überall raucht. Viel Alkohol trinkt, am Ende stattdessen Tabletten und Zeug aus einem Fläschchen. Anders als der reale Cranko spricht der hier von Anfang an Deutsch, immerhin mit englischem Akzent.
Es werden keine alten Filmaufnahmen oder Fotos eingeblendet. Stattdessen gibt es nachgestellte Szenen von bekannten Pressefotos. Wie das Ein- oder Aussteigen des damals berühmt werdenden Stuttgarter Balletts am Flughafen. Der Vorteil: Ohne Erklärschicht zieht einen die Geschichte zunehmend hinein und nimmt mit. Sobald man die Machart geschnallt hat. Diese verlässt sich darauf, dass man viele Schnitte und Hüpfer zwischen Zeit- und Wirklichkeitsebenen kapiert und goutiert. Insgesamt folgt der Film der Chronologie vom Zeitpunkt an, als John Cranko 1960 am Stuttgarter Flughafen ankam, bis zu seinem Tod im Flugzeug aus Philadelphia, USA, 1973.
Künstlerperspektive
Cranko also sitzt im Flugzeug, und die Kamera zoomt auf sein Auge. In der Pupille regen sich winzige Tänzer, die im Bild nun immer größer werden. Diesen Blick in Crankos Vision eines künftigen oder schon geschaffenen Balletts bohrt der Film einige Male auf. Als Mittel, dem Künstler ins Hirn zu schauen, wirkt es etwas kitschig.
John Cranko schaut, imaginiert in seinen Pupillen, hört zu, begibt sich in Dialoge oder hält Ansprachen – im Ballettsaal, beim Chef, in der Kneipe, in der Kantine, bei einer Premierenfeier, in der Wohnung. Die Sätze müssen knapp sein und sitzen, denn der Film nimmt sich nur TV-kompatible 90 Minuten Zeit. Deshalb wirkt das Gesagte häufig sentenzenhaft.
Doch sind die Sätze gut ausgewählt, ob verbürgte Zitate oder Zusammenfassungen von Crankos Ansichten. „Ich will mit dem Tanzen das sagen, was mit Worten nicht sagbar ist“, erklärt er den Tänzer:innen. „Bitte, Kinder, bleibt euch treu! Egal, wenn es nicht perfekt ist, wir sind Menschen! Dann interessiert es auch das Publikum. Es geht nicht um die Schritte“, man höre „das Echo vom Herzen“.
Cranko brüllt auch mal, beleidigt, erpresst („wenn sie keinen Vertrag bekommt, kündige ich“), als sein Intendant die junge Tänzerin Marcia Haydée nicht einstellen will. Oder hat Tränen in den Augen, als er von der Loge aus eine traurige Szene aus seinem eigenen Ballett betrachtet. Womit der Film ausdrückt, wie nahe seine Kreationen auch seinem eigenen Erleben von Abschieden, Liebe und Enttäuschungen gewesen sein könnten. Wenn es um seine Homosexualität geht, schwiemelt der Film nicht, bleibt visuell aber keusch. Liebhaber treten in Crankos Leben und sind schnell weg. Dem jungen Alex aber, der Puschkin zitiert und den Crankos Leidenschaft für Literatur doppelt an sein Herz drückt, dem trauert der Choreograf extrem hinterher. Die zwei Suizidversuche verschweigt der Film nicht.
Tanz als Leidenschaft
Der Clou des Films ist seine Besetzung. Jene weltberühmt gewordenen Tänzerinnen und Tänzer Marcia Haydée, Ray Barra, Heinz Clauss, Richard Cragun, Egon Madsen, Birgit Keil werden von heutigen Stuttgarter Ballettstars verkörpert: Elisa Badenes, Jason Reilly, Friedemann Vogel und anderen. Als sich die Gealterten mit den Jungen im Epilog treffen, ohne Worte, macht der Film diese Liebe spürbar, die er vorher versucht hat darzustellen: nicht nur bei Liebespaaren, im Ballett und im Leben, sondern auch zwischen Menschen, die einander nahe sind, sich umeinander kümmern, die ihre Tanzkunst lieben. Und die von Cranko besonders.
Als Schauspielchef Peter Palitzsch „Die Ermittlung“ von Peter Weiss, ein Stück über die Frankfurter Auschwitz-Prozesse, aufführen lässt und sagt, „von der Kunst muss Veränderung ausgehen“, überlegt Cranko, ob das mit Tanz vielleicht auch gehe. Sein politisches Ballett „Traces“ erntet Buhs. Eine Schlussszene mit stehenden sträflingshaft Gekleideten ist kurz zu sehen. Danach aber der Supererfolg mit Crankos Liebes- und Charakterballetten in den USA. Mit 45 Jahren stirbt er.