Foto: Das Ensemble stößt feierlich gemeinsam an. © Ann-Marie Schwanke – Siegersbusch – RT
Text:Matthias Nöther, am 8. Juli 2024
Intendant und Regisseur Guntbert Warns holt das Oktoberfest auf die Berliner Bühne. Dabei treffen am Renaissance-Theater die unterschiedlichsten Kulturen aufeinander.
Das Renaissance-Theater in Berlin mit seinem denkmalgeschützten Art-déco-Intérieur hat nicht sehr viele Plätze. Es ist eine Bühne, die höchstens eine sehr überschaubare Förderung vom Berliner Senat erhält. Dennoch versucht Intendant und Regisseur Guntbert Warns teils mit Klassikern des bürgerlichen Theaters, teils mit von guter Musik durchsetzten Stücken irgendwie mit dem Niveau der staatlich rundum geförderten Berliner Sprechtheater mitzuhalten. Geld verdienen muss man aber, und nicht zu knapp.
Ein Standortvorteil: Die unvergleichbar zentrale, urbane Lage zwischen Bahnhof Zoo und Ernst-Reuter Platz, in unmittelbarer Nachbarschaft der Universität der Künste und der Technischen Universität. Da kommt eine Menge internationales Publikum vorbei. Mit dem neuen Musical „Oktoberfest“ spricht man eindeutig ein solches an, das sich in Berlin und Deutschland nicht gut auskennt. Wer sonst sollte auf die Idee kommen, ausgerechnet im preußisch-nüchternen Berlin ein Stück über das Münchner Traditionsevent anzuschauen? Eben. Aber die Touristen will man haben – und vermutlich wird man sie so auch bekommen.
Lockere Unterhaltung
Wenn man diese wirtschaftlichen Erwägungen des Theaters hypothetisch nachvollzieht und dann mal ausblendet, dann ist das Stück in seiner ganzen Haltung zum Publikum und zu gehobener Unterhaltung eigentlich gar nicht so schlecht. Und etwaige Untiefen werden mit Kabarettmusik von Harold Faltermeyer durch die Band von Johannes Roloff ganz gut überspielt.
Der Grundkonflikt der Handlung wie auch des ganzen Stückes ist schnell erzählt. Die Theaterproduzentin Valerie, gespielt von Winnie Böwe, möchte in Berlin ein Stück über das Münchner Oktoberfest herausbringen. Ihr schwebt ein Bildungstheater mit Kulturgeschichte und vielen tragischen und erhebenden Momenten, auch der Spukgestalt der „weißen Frau“, vor. Ihr Regisseur, gespielt von Ursli Pfister, sieht das anders, entlässt heimlich das bereits eingekaufte, hochkarätige Ensemble und ersetzt es – hier fängt das Stück an – durch Darstellende, die ihm in Berlin offenbar gerade so über den Weg gelaufen sind. Valerie ist entsetzt. Mit diesem Personal soll die tragikomische Geschichte von König Ludwig I., seiner Gattin Therese, den vielen Prinzessinnen und Prinzen, der königlichen Mätresse Lola Montez und dem Skandal um die Bierpreise erzählt werden?
Berliner Kultursalat
Eine Pointe des Stückes von Autor Philip LaZebnik erscheint zunächst unfreiwillig, stellt sich aber nach und nach als gut erfundene Absicht heraus: Wer sich sein Stückpersonal in Berlin zusammensucht, wird – zumal bei diesem Sujet – weder anspruchsvolle Hochkultur noch Münchner Lokalkolorit hinbekommen. Und naturgemäß auch kein Berliner Lokalkolorit, denn ein Berliner Volkstheater war nach den Zeiten von Harald Juhnke und Brigitte Mira etwas immer irgendwie Herbeigewünschtes.
Eigentlich hat die gegenwärtige Kultur- und Kunstszene Berlins kein Lokalkolorit, sie ist ein Melting Pot aus Hessen, Schwaben, Neuköllnern und US-Amerikanern. Der Darsteller des bayerischen Königs Ludwig I. Toni Pfister babbelt hessisch, die US-Musicaldarstellerin Heather Litter kokettiert mit ihrem unausrottbaren Akzent, Marie Cécile Nest als Darstellerin der kinderreichen Therese (das ist die von der Theresienwiese) ist irgendwie berlinisch unterwegs, und Manal Raga a Sabit beeindruckt durch ihren virtuosen Wechsel vom Neukölln-Slang zum spanisch-deutschen Lispeln der feurig-teuflischen Männerfresserin Lola Montez. Die bringt sie mit Selbstironie und somit jenseits der Femme-fatale-Klischees auf die Bühne.
Schließlich ist das alles Theater im Theater – und in dieser Anlage auch konsequent. Über das Boulevardeske hinaus ist es eine Geschmacksfrage, wenn das Ensemble gemeinsam mit dem Publikum „Ein Prosit auf die Gemütlichkeit“ anstimmt. Da ist nämlich dann die Ironie weg. Es wird klebrig, und man meint, etwas verkleckertes Münchner Helles zu riechen.