Foto: Kathrin Zukowski als E in "Ines" an der Oper Köln. © Matthias Jung
Text:Andreas Falentin, am 17. Juni 2024
„Ines“ von Ondrej Adámek, an der Oper Köln uraufgeführt, bringt die Realität einer atomaren Katastrophe mit dem Mythos von Orpheus und Eurydike zusammen. Im Zentrum steht das Trauma des Orpheus.
Wie ist ein katastrophaler Atom-Unfall, eine 7 auf der INES-Skala, auf der Bühne darstellbar? Die Antwort auf diese Frage verweigert die Oper Köln an diesem Abend. Obwohl E(urydike) auf der Bühne, sozusagen, verstrahlt wird – in einer Atom-Katastrophe. Ihr Sterben steht ganz im Zentrum des knapp zweistündigen Abends. Doch das Libretto fokussiert sich mit einer abstrakten, poetischen, häufig in Phrasen aufgebrochenen Sprache auf das Trauma des Hinterbliebenen O(rpheus). Die Trauer zwingt seine Bariton-Stimme in die Counter-Lage und er steht verloren im Riesenraum des Staatenhauses 3, der mit weißen Plastiksäcken (Ausstattung: Patricia Talacko) ausgekleidet ist. Hagen Matzeit singt virtuos und leidet, wie es Trauma-Patienten tun, nach innen. Man hört es, man spürt es, aber man sieht es nicht. Es gibt kein sichtbares Spiel in dieser Oper.
Toller Gesang, wenig Spiel
Denn das Libretto von Katharina Schmitt, die auch inszeniert, bietet nicht nur keinen Konflikt, sondern auch keine Wendepunkte. Wir sehen die Zuneigung von Orpheus und Eurydike nicht. Sie bleibt Behauptung, obwohl dieses Paar doch bekannt ist für seine übergroße Liebe, sogar über den Tod hinaus. Auch den Blick, den Abschied sehen wir nicht. Selbst der Atomschlag ereignet sich wie nebenbei, nach und nach. Wir erfahren nicht einmal, warum O von der Katastrophe verschont bleibt. Der Text bleibt Fläche, bekommt in keinem Moment dramaturgische Form, nicht einmal in der Gestalt von Dialogen. Und die Regisseurein vermeidet Zusammenspiel. O bleibt allein. E spaltet sich, tatsächlich, auf: Kathrin Zukowski, die sehr formschön und rein singt, ihr treten Olga Siemienczuk, Tara Khozein und Alina König Rannenberg zur Seite, in ähnlichen Kostümen; sie singen Terzett oder Quartett, verkleinern die Figur, bringen sie zum Verschwinden.
Dalia Schaechter hat einen wesentlichen Auftritt als Ärztin, die genau schildert, was ein Atom-Unfall für Menschen bedeutet, mit starker, fast unheimlicher Präsenz. David Howes ist, mit flüssigem, sehr textverständlichem Bass, der Erzähler, der Mythos-Teile zugänglich macht. Der Chor zählt, misst so Zeit und Leid, singt brillant und marodiert immer mal, oft im Gänsemarsch, über die Bühne. E’s Leiche wird weggetragen, der Chor räumt Säcke ab, die Leere bleibt. Und das Trauma.
Musik mit eigenen Akzenten aber ohne eigene Sprache
Die Musik von Ondrej Adámek – der den Abend auch dirigiert – ist sehr sinnlich, hat eigene Akzente mit einem Surround-Sound der zugespielten Stimmen, mit einen um einen Achtelton verstimmten, den Klang sozusagen aufspießenden zweiten Violinen und einem onomatopoetischen Nachspüren der Sprache, etwa im Schlagwerk und den Posaunen – zu einer eigenen Sprache findet sie nicht. Wir hören Klänge und Instrumente von Carl Orff, die Wort-Ton-Behandlung von Iannis Xenakis, in der letzten Szene sogar eine fast notengetreue Umsetzung des „Cold Song“ vom Purcell (in anderer Instrumentierung).
Aber eine eigene Dramaturgie, einen eigenen Aufbau oder Bogen, eine eigene Klangästhetik bietet diese Musik nicht. Was vielleicht gar nicht schlimm wäre, gäbe es Form und Widerstand in Text und Geschichte. So gibt es keine Lücken, keine Mulden, in die sich diese Musik schmiegen und sich mit Bedeutung aufladen kann. Es bleibt ein brennend und minimal ausgespieltes Trauma. Und Leere. Und langer, herzlicher Applaus nach zwei Stunden Theater.