Foto: Ballett, Opernchor, hinten: Nessus (Thilo Andersson), Virgil (Stefanie Rhaue), Dante (Minseok Kim), Chiron (Andrii Chakov) © H. Dietz Fotografie
Text:Michael Kaminski, am 16. Juni 2024
Das Theater Hof präsentiert mit „Dante – From Inferno to Paradise“ eine Uraufführung, die auf Dante Alighieris Texten beruht. Die Oper von Patrick Cassidy erinnert charakterlich jedoch mehr an eine szenisch bebilderte Kantate.
Der Nucleus des Werks ist kannibalisch. Komponist Patrick Cassidy schrieb in seinen Soundtrack für den Hollywood-Reißer „Hannibal“ eine zu etlicher Popularität gelangte Arie, die ertönt, wenn der Dante-Verehrer und Menschenfresser in Florenz eine Opernaufführung besucht. „Vide cor meum“ liefert nun in Wiederverwertung das musikalische Material für Dantes Vision der sein Herz verspeisenden geliebten Beatrice in der zweiten Szene des jetzt in Hof aus der Taufe gehobenen musiktheatralen Stationenstücks.
An den gleichermaßen innigen und melodisch weit gespannten Hit lagert sich weitere Musik von hohem ästhetischen Reiz an. Wohin Cassidy als sein eigener, Dantes Divina Commedia treulich folgender Librettist den Dichter auch gelangen lässt, ob in die Hölle oder ins Purgatorium, noch in Marter und Pein bleibt jedem Sünder das Grundrecht, seine Fährnisse unter den Vorzeichen reinster Schönheit geschildert zu erleben. Eine Würde, die Cassidy selbst den in siedendem Blut ihre Schuld büßenden Gewaltverbrechern und Tyrannen zubilligt. Weit entfernt von allem Illustrativen und Dramatischen, mischt die Partitur immer wieder barocke Elemente und solche der Minimal Music, als habe Cassidy den Tonsetzerkollegen Philipp Glass sich an Händel und Vivaldi orientieren lassen. Das entfaltet beträchtlichen musiktheatralen Sog.
Kantatencharakter und Dichterreise
Nur, eine Oper hat Cassidy nicht geschrieben. Zwar lässt er seinen „Dante“ als solche firmieren, herausgekommen aber ist eine szenische Kantate. Schon die Fülle an Stoff, die es mit des Dichters Reise durch die Hölle bis ins Paradies zu bewältigen galt, erweist sich als rein episch. Die musikalische Faktur tendiert zur Liturgie. Musiktheatrales Potential wie das von Cassidys „Dante“ wohnt für gewöhnlich katholischen Messkompositionen inne. Noch-Hausherr und Regisseur Reinhardt Friese, der sich das Werk, dessen für das Dantejahr 2021 in Verona vorgesehene Uraufführung covidbedingt nicht zustande kam, an Land gezogen hat, unterstreicht den Kantatencharakter des anderthalbstündigen Werks.
Virgil (Stefanie Rhaue), Engel am Eingang des Purgatoriums (Yvonne Prentki), Dante (Minseok Kim). Foto: H. Dietz Fotografie
Der Chor ist meist auf einer Treppe im Hintergrund positioniert. Solistinnen und Solisten agieren zurückhaltend, doch spricht jede der stilisierten Gesten Bände. Die Musikblöcke trennt Friese durch aus dem Off gesprochene Erläuterungen zum Gang der Handlung. Heftige und zugleich ungeheuer fokussierte Bewegung bringt lediglich das Ballett des Hauses ins Geschehen ein. Choreografin Barbara Buser ersinnt für ihre Compagnie eine Synthese aus Höllenqualen und formaler Zucht. Bühnenbildnerin Annette Mahlendorf sorgt außer mit der teil- und drehbaren Treppe für den Chor mit einer monumentalen blutverschmierten Gliederkette für Effekt. Kristoffer Keudels Videografie frappiert durch Coups wie die Dante auf die Stirn gezeichneten und bei seiner Ankunft im Paradies sich wie von Geisterhand löschenden blutigen Sündenmale.
Starkes Plädoyer für die szenische Kantate
Auch musikalisch bewähren sich die Hofer als berufene Anwälte der Novität. Unter Lucia Birzer bringt sich der beinahe permanent geforderte Chor strahlkräftig und mit feinsinnigen dynamischen Abstufungen ins Spiel. Mit den städtischen Symphonikern baut Ivo Hentschel auf die meditative Gelassenheit und Entschleunigung des Werks. Um die sakrale Aura der Partitur zu verstärken, lässt Hentschel die Nachhallzeiten elektronisch beinahe auf Kirchenakustik strecken. Tenoral von ebenso stabiler wie zur Differenzierung fähiger Statur verkörpert Minseok Kim die Titelfigur. Inga Lisa Lehr beglaubigt die seelische Reinheit Beatrices. Voll weiser Autorität und immer dem Schützling Dante zugewandt gibt Stefanie Rhaue seinen Begleiter Virgil.