Foto: Das Ensemble der Bonner „Flusslandschaft“ © Matthias Jung
Text:Detlev Baur, am 8. Juni 2024
Politikergattinnen der Bonner Republik hat Heinrich Böll ins Zentrum seines letzten Werks gestellt. Dabei ist „Frauen vor Flusslandschaft“ zwar dialogisch geschrieben, wirkt aber eher lyrisch-resigniert als dramatisch-aufrüttelnd. Die Bonner Uraufführung des Schauspieldirektors Jens Groß kann weder aus den Schicksalen der Figuren noch aus der erschreckenden Vergangenheit der Politik mit Nazimachenschaften Verbindungen in die Gegenwart schlagen.
Heinrich Bölls letzter Roman erschien 1985, kurz nach seinem Tod. Dem Panorama von Politikergattinnen der bundesrepublikanischen Hauptstadt lässt sich vorhalten, dass es ein ziemlich einseitiges Bild einer korrumpierten Männerwelt zeichnet, unter der die Frauen, die dazu gehören, leiden. Böll konzentriert sich in fast rührender Weise auf die Nazi-Verstrickungen der älteren Bonner Machtzirkel. Für sein hybrides Buch wählt er ausschließlich dialogische und monologische Textformen.
Kein Wunder, dass das Sittengemälde „Frauen vor Flusslandschaft“ schon 1988 an den Münchner Kammerspielen (von Volker Schlöndorff) inszeniert wurde. Nun hat es nach 40 Jahren sozusagen in der Heimat, am Theater Bonn, den Kammerspielen in Bad Godesberg Premiere. Das damals wenig begeistert besprochene letzte Werk des rheinischen Dichters, einer Institution der westdeutschen Bundesrepublik, will kein Schlüsselroman des Bonn der frühen Kohlkanzler-Jahre sein. Das Drama der unter dem mächtigen Gatten leidenden Hannelore Kohl wurde an anderer Stelle längst breit journalistisch und künstlerisch aufgearbeitet, etwa 2005 von Johann Kresnik im Stück „Hannelore Kohl“ in der Oper Bonn.
Machtlose Frauen im Zentrum
Die Bonner Textfassung von John von Düffel und Dramaturgin Nadja Groß konzentriert sich auf Dialoge zwischen fünf Frauengestalten, die Männerfiguren sind als Sprecher gestrichen oder in eingespielte Audioformate verbannt. Der Raum gleicht einer höheren Boutique (Bühne: Tom Musch), mit Flügel und einer langen Stange voll schwarzer Herren-Sakkos. Dieser unbestimmte Ort dient als Therapieraum, in dem Frau Dr. Dumpler (Sophie Basse) ihre nicht ganz freiwillige Patientin Elisabeth Blaukrämer (Ursula Grossenbacher) gerne in den Kasten des Sofas einschließt. Hier, nun eher salonartig zu verorten, erregt sich auch Erika Wubler (Birte Schrein), während sich Eva Plint (Lydia Stäubli) in gehobener Stewardessen-Tracht (Kostüme: Philipp Baesener) komisch übertrieben in ihr Schicksal ergibt. Die promovierende Servicekraft Katharina Richter (Trang Dong) serviert derweil Kaffeetassen oder spitze Bemerkungen, bleibt dabei allerdings blass.
Vorlage wie Theaterfassung und Inszenierung des Schauspieldirektors Jens Groß leiden darunter, dass zahlreiche Vorgeschichten und Namen angesprochen, aber nicht ausgebreitet werden; in der frauenzentrierten Theaterfassung bleiben die von Geschichten der Männer dominierten Damen stark fremdbestimmt, was dramaturgisch schlüssig sein mag, dem Spiel der Frauenfiguren jedoch wenig hilft. „Wir müssen alle raus aus dem System“, ist eine eher abstrakte Situationsbeschreibung. Die Melancholie des müden Patriarchatskritikers Heinrich Böll, die von heute aus gesehen den Reiz des hybriden Romans ausmachen könnte, verpufft.
Frauen an die Macht
Auch stellt sich eine Anknüpfung der unheimlichen Macht alter Nazis aus „Frauen vor Flusslandschaft“ an neue Faschisten der Gegenwart vor der Europawahl nicht her. Vielmehr arbeiten Groß und sein Team heraus, dass die Rolle der Frauen in Bonn sich bereits in den 1980er Jahren teilweise schon stark gewandelt hatte.
Nach dem Suizid Elisabeth Blaukrämers zeitgleich mit der Ernennung ihres Ex-Mannes zum Minister wagen die überlebenden Heldinnen den über Böll hinausführenden dialogischen Aufbruch: „Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen sollte.“ Zum Abschluss werden Reden engagierter Frauen wie Waltraud Schoppe, Ingrid Mätthäus-Meier, Petra Kelly oder Rita Süßmuth per Video eingespielt. Ein zeithistorisch anregendes Ende eines etwas müden, anderthalbstündigen Theaterabends.