Foto: Messa da Requiem © Sandra Then
Text:Martina Jacobi, am 1. Juni 2024
An der Staatsoper Hannover inszeniert Elisabeth Stöppler Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ szenisch im Eisstadion. Die Vorstellung findet einen vielschichtigen Zugang zum Umgang mit Tod und Trauer, der sich aus Verdis Musik entspinnt und mit gesprochenen Texten von Martin Mutschler ergänzt wird.
Regisseurin Elisabeth Stöppler verlegt Giuseppe Verdis Requiem ins Eisstadion. Dieser Ort als Bühnenbild (Katja Haß) ist ein Treffer: Ein Querschnitt der Gesellschaft trifft aufeinander, in Hannover von Punk bis Großfamilie und altem Ehepaar. Gemeinsam tief empfundene Emotionen wogen und Menschen spüren auf nonverbale Art und Weise eine Verbundenheit, johlen und trauern zusammen und gehen vorher und nachher vielleicht wieder ganz getrennte Wege.
Im Halbkreis ist auf der Bühne eine Zuschauertribüne aufgebaut, die rechts und links bis zum Rand reicht und so mit dem Saal ein gemeinsames Rund bildet. Langsam füllen sich die Ränge des Eisstadions bis auf den letzten Platz. Alle Darstellenden haben Bilder von verstorbenen Menschen dabei, vereinen sich mit ihrem individuellen Schmerz zum gemeinsamen Trauern.
In „Messa da Requiem“ finden in Hannover zwischen Verdis Musik rein gesprochene Teile statt, so wie es auch in der Messe üblich ist, wie sie in der Kirche stattfindet. In der Staatsoper sind es poetische, assoziativ aufgebaute Sprechteile mit Texten von Martin Mutschler, bis 2023 Dramaturg an der Staatsoper Hannover, seit 2023 Leiter des JOiN (Junge Oper im Nord). Die Texte verarbeiten Verlust, Tod und Trauer und zeigen, wie unterschiedlich Menschen mit diesen Themen umgehen.
Figurenentwicklung aus der Musik
Auf der Basis der vier Solist:innen hat Elisabeth Stöppler mit ihrem Team Figuren entwickelt, die dem Publikum verschiedene Haltungen zu Tod und Trauer nahebringen. Grundlage für die Charakterisierung der Solist:innenstimmen bietet Verdis Musik, darauf aufgebaut sind die Figuren mit Farben durch die Kostüme von Gesine Völlm weiter beschrieben: Gelb für S (Sopranistin Barno Ismatullaeva), Blau für A (Altistin Monika Walerowicz), Schwarz für B (Bass Shavleg Armasi) und Weiß für T (Tenor José Simerilla Romero). Die Farben zeichnen die Wesenszüge der vier, werden in ihrer Entwicklung unterstrichen, zum Beispiel wenn der leichtlebigere T einen silbernen Glitzeranzug anzieht: „Ich stell mich in den Regen, um zu leben! Erkenne dich, doch nicht zu lang! Verpasse nicht die Welt!“
Eine fünfte Figur ergänzt die Reihe um weitere Eigenschaften und gesellschaftliche Merkmale: X, eine reine Sprechrolle, dargestellt von Heinrich Horwitz, einem:r nichtbinären Darsteller:in. Anders als die vier Solist:innen und der gesamte gewaltige Chor und Extrachor (Leitung: Lorenzo Da Rio) „muss“ diese Figur in Rot als einzige ohne Musik auskommen, spiegelt dem primär binär gedachten Gesellschaftsbild (auch in der Oper) eine Alternative, denn X steht unter anderem für „divers“, worauf auch das Programmheft hinweist.
Martin Mutschlers Texte wurden für die Solist:innen in die jeweilige Muttersprache übersetzt. Auf Usbekisch, Polnisch, Spanisch und Georgisch kommt der Text fühlbar von Herzen, findet der Umgang mit Schmerz seinen Weg aus der Sprache, die ein Teil von jedem:r ist. Ein smart gelöstes Detail ist die Souffleuse, Karin Seinsche, die als Statistin auf der Bühne selbst Teil der Gemeinschaft wird und mit ihrem Textbuch jede Person sein könnte, wie sie einem:r auch im Alltag begegnet.
Singende und spielende Solist:innen
James Hendry, Erster Kapellmeister an der Staatsoper Hannover, führt die komplett auswendig singenden (!) und zusätzlich auch spielenden Chormitglieder zusammen mit dem Staatsorchester ruhig und dann wieder energetisch durch das Requiem. Beim ersten „Dies irae“ fegt die geballte Kraft von Singenden und Musizierenden in den Zuschauersaal. Barno Ismatullaeva singt die Sopranstimme zwischen Grauen vor dem Sterben und trotzigem Widerstand dagegen. Monika Walerowicz ist mit klarem Alt eine fürsorgliche Figur, die mit ihrer vermeintlichen Schuld am Tod ihrer Schwester ringt. Shavleg Armasi zerbricht mit brandendem Bass fast an dem Schwall an Emotionen, die mit verdrängter Verarbeitung plötzlich auf ihn einbrechen. Und José Simerilla Romero nimmt den Tod mit feinem wie mutigem Tenor scheinbar auf die leichte Schulter, bis auch er ihn als Teil des Lebens anerkennen muss.
Die Lichtregie von Elana Siberski fasst den Raum mit dem Zuschauersaal immer wieder als gesamte Arena, wo Flutlicht mal alles erstrahlen lässt und sich dann die Darstellenden wieder nur als dunkle Silhouetten vor dem Tribünenhintergrund abzeichnen und apathisch in einer gefühlten oder vielleicht schon realen Zwischenwelt über die Bühne geistern. Alle sind in ihrer Trauer irgendwie alleine und dann auch wieder füreinander da. Vielleicht ist das auch eine Frage, die jede:r für sich mitnehmen kann: Wie schaffen wir einen gemeinsamen gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod und wie kann jede:r alleine damit umgehen? Und: Wenn Tod als enttabuisiertes Thema Eingang in unseren Alltag findet, fühlt sich Sterben dann vielleicht weniger einsam an?