Foto: Conférencier (Klaus Zwick) und Doubles © Andreas Etter
Text:Detlev Baur, am 25. Mai 2024
Am Theater Oberhausen inszeniert Wolfgang Menardi mit starkem Team und Ensemble einen schwierigen Text von Joël Pommerat. „Ich zittere“ zeichnet aus brüchiger Ich-Perspektive das Bild einer fragmentierten Welt. Sehenswert.
Monologe scheinen derzeit das Mittel der (Theater-)Wahl. Im Erfolgsstück „Prima Facie“ wird die Aufarbeitung eines Falles sexueller Gewalt durchgespielt, von einer Frau, die durch eigene Erfahrung erschüttert ihre beiden, zeitlich scharf voneinander getrennten verschiedenen Perspektiven zum #MeeToo-Komplex beschreibt. In der Antikenweiterschreibung „Laios“ dagegen spielt Lina Beckmann nicht nur verschiedene Akteure einer ganzen grausamen Königsfamilie, sondern das Volk und seine Fragen an die Machthaber gleich mit. Und nun zeigt das Theater Oberhausen die deutsche Erstaufführung von Joël Pommerats „Ich zittere“ (Übersetzung: Gerhard Willert).
Wilde Geschichten
Hier führt der Conférencier das Publikum durch eine „Show“, die sein Leben beschreibt oder vielmehr sein Sterben, das gleich mehrfach durchgespielt wird. Alle anderen Gestalten entspringen seiner Erzählung. Die schildert bruchstückhaft Figuren und Geschichten seines Lebens. Zwar ergeben sich mit der jüngeren und der alten geliebten Frau, mit dem bewusst verstummten Kind und der Meerjungfrau, die mit dem Fischschwanz auch ihre Stimme verliert, biographische Fragmente. Zum Teil erzählt die egozentrische Hauptfigur aber auch von Bekannten aus seinem Umfeld: Einer Flughafenbekanntschaft, die sich aus einer Laune heraus zum passionierten Flugzeugattentäter entwickelt oder einem Freund, der zum Vampir wird. Und mittendrin lässt er einen kritischen Zuschauer auf der Nebenbühne beseitigen.
Das reichlich hybride Stück, das aus zwei Teilen besteht (die von Pommerat und seiner Truppe im Abstand eines Jahres uraufgeführt wurden) eröffnet also einen Kosmos kurzer konkreter Blitzlichter und bleibt doch sehr im Ungefähren, wird vom Conférencier mit Gedanken zwischen existenzieller Philosophie und überambitioniertem Geschwätz gerahmt. Unklar bleibt, ob der Conférencier nun die Welt wirklich verstanden hat, und seine Botschaft dabei zu komplex bleiben muss.
Beeindruckende Umsetzung
Wolfgang Menardis Inszenierung macht von Anfang an deutlich, dass es sich hier um keine kleine Zauber- oder Travestieshow handelt, sondern um ein großes – und dabei melancholisches – Spektakel. Grelles Licht, schrille Töne und die Ton- und Musikeinspielungen (Musik: Tom Schneider) mit einer weiten Mischung von Requiem bis „Sex Bomb“ grundieren die Begegnungen kontrastreich. Das passt in seiner Hybridität bestens ineinander. Die Kostüme von Jelena Miletić changieren zwischen blauem Glitzerkostüm und beiger Unterwäsche, die Bühne von Mirjam Stängl stellt von grellen Neonröhren eingerahmt eine Drehbühne aus zwei sich in die Mitte erhebenden Schrägen ins Zentrum; in der Mitte dieser um sich kreisenden Welt klafft wiederum ein breites Loch, als Auf- oder Abtrittsmöglichkeit, teils aber auch mit einem Spiegel oder mit einem breiten Zylinder von oben gefüllt.
Zunächst rutscht Klaus Zwick in der Hauptrolle auf der Schräge herab, später verdoppeln sich er selbst oder die junge und die alte Frau hier durch Doubles. Am Ende der knapp zwei Stunden kreist der Sarg der Erzählers, während er selbst noch gegen die Drehrichtung außen herumläuft. Das elfköpfige Ensemble (darunter mit Beckley Adeoye und Siryel Elina Chtioui zwei Mitglieder der neuen Tanzcompagnie des Hauses) überzeugt durchweg durch starke Präsenz, wobei Bühne und Sound viel in Bewegung bleiben. Klaus Zwick setzt mit seiner überzeugenden Zögerlichkeit gleich zu Beginn einen Kontrapunkt zur heilen Showwelt. Auch wenn im zweiten Teil die Vielzahl der immer abstruseren Geschichten ein wenig ermüdet und im Spiel kaum neue Töne hinzukommen: Dem Ensemble und dem Team von „Ich zittere“ gelingt eine beeindruckende Umsetzung des schwierigen Textes. Die Figuren und die Bühne zeigen eine kranke Welt, im O-Ton des Doubles des Conférenciers: „Diese Krankheit heißt ‚Selbstbeschönigung‘. Man sieht sich selber ja viel schöner, als man wirklich ist. Besser als alle anderen, vernünftig bis in seine kleinsten Begierden hinein.“