Foto: Liz Rosenfeld in Ursa-X © Christa Holka
Text:Nicolas Garz, am 11. April 2024
„Ursa-X“ auf Kampnagel in Hamburg von Liz Rosenfeld handelt von einem Loch, in dem wir unsere Identität erst ergründen müssen. Die Inszenierung zeigt: Um Freiheit zu finden, muss man scheitern dürfen. Diese Kritik entstand für das Sonderheft DIE QUEERE BÜHNE.
Zwei Personen liegen inmitten eines Kreises aus Licht, ansonsten ist es stockfinster im Bühnenraum. Dieser Kreis ist der eigentliche Hauptdarsteller von „Ursa-X“. Streng genommen handelt es sich um ein Loch, das „Ursa“ heißt und aus dem Off spricht. Das Loch hat ein existenzielles Grundproblem: Es kann nicht gefüllt werden – so sehr es sich das auch wünscht. Zugleich steht Ursa als Sternbild für den großen und kleinen Bären. Überhaupt schwebt der erzählerische Überbau der Performance von Liz Rosenfeld zu oft zwischen den Sternen. Auch der Planet Merkur spielt eine Rolle, die sich kaum erschließt und leider davon ablenkt, dass hier schon bald eine ganz und gar irdische Lebensfrage verhandelt wird. Und das durchaus eindrücklich.
Interessant wird die Performance nämlich in dem Moment, in dem sie sich vom All in den Alltag zurückbewegt. Etwa, als es um Sex geht und um Löcher im Körper, „die sich gut anfühlen“, wie Liz Rosenfeld und ihr Mitspieler R. Justin Hunt betonen. Und die zugleich so bedrohlich und zerstörerisch sein können, weil sie „instabile Oberflächen und Krater“ seien. Schließlich lauert hinter jedem Flirt ein Loch, dass das Leben ins Chaos stürzen kann. Und doch springen wir immer wieder aufs Neue in dieses Loch. Warum eigentlich?
Existenzielles Loch
Auf diese Frage gibt die ansonsten rätselhafte Inszenierung eine Antwort. Sie steckt in der gut getimten Körperlichkeit des Auftritts, in den harmonischen Bewegungen der beiden Körper, die sich im Bühnenloch vorantasten, ineinander verkeilen, übereinander hinwegrollen. Jeder Schritt ist Annäherung und Entfernung, Nähe und Distanz, Attacke und Vorsicht, ein ewiges Anziehen und Abstoßen, das eine Botschaft aussendet: In diesem Bühnenloch sind alle Menschen allein und doch verbunden. Und jeder befindet sich in einer Suchbewegung, die dieses leere Loch erst mit Leben füllt.
Liz und Justin sind auf der Bühne ganz sie selbst und zugleich wie wir alle. Ständig versuchen wir, unser persönliches Loch zu füllen und scheitern daran. Die tröstliche Erkenntnis von „Ursa-X“: Es ist nicht nur ok, zu scheitern – wir müssen sogar scheitern, und das immer wieder. Denn würde das existenzielle Loch unseres Lebens abschließend gefüllt, hörte es auf, ein Loch zu sein, und das wäre das Ende unserer Freiheit. Dass das insbesondere für die Freiheit im Umgang mit dem eigenen Körper und der geschlechtlichen Identität gilt, verdeutlicht Rosenfeld in einer Tanzszene, die irritiert und hängen bleibt.
Nur weil das Loch ein Loch ist, offen und unergründlich, können wir uns verändern und neu erfinden, stets aufs Neue, bis irgendwann irgendjemand – Ursa oder Merkur oder Kafkas berühmter Türhüter – sagt: „Jetzt ist aber Schluss, ich schließe nun dein Loch für dich.“ Und dann, in diesem letzten Moment, tragen wir hoffentlich so ein sanftes, beseeltes Lächeln im Gesicht wie Liz und Justin, die am Ende wieder wie zu Anfang inmitten ihrs lichtumrahmten Bühnenlochs liegen. Wie schön das doch wäre.
Hier finden Sie das komplette Sonderheft DIE QUEERE BÜHNE.