Foto: Szene aus „Figaro im Hamsterrad” © Pawel Sosnowski
Text:Torben Ibs, am 6. Mai 2024
Am Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau zeigt Regisseur Nicola Bremer „Figaro im Hamsterrad“ als Sommertheater-Komödie. In einer Kaffeefabrik offenbart sich der Wahnsinn unserer kapitalistischen Arbeitswelt. Das wird oft doppeldeutig in einem großen Hamsterrad gezeigt – und ist vor allem ein Riesenspaß.
Lachen über Weltkrisen? Das ist eigentlich ureigene Aufgabe des Kabaretts und das Theater tut sich erfahrungsgemäß schwer, der Tragik des Spätkapitalismus mit feixendem Humor entgegen zu treten. Das hielt Gian Maria Cervo vom Monte Sacro Festival Mattinata und Regisseur Nicola Bremer nicht davon ab, eine Sommertheaterkomödie zu schreiben, die sich nicht nur an der Oberfläche bewegt, sondern tief in Denk- und Wahrnehmungsmuster abtaucht. Gleichzeitig vermeiden sie allzu Plattes, sondern erschaffen gleichzeitig Typen und Figuren mit Ecken und Macken. Das Ganze nennen sie „Figaro im Hamsterrad“, doch mit Mozarts Oper hat das nichts zu tun.
Am Sonntag hatte es im Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau Premiere, das kleine Sommertheater wird im Klosterhof als Uraufführung gezeigt – und natürlich auf dem Festival in Italien. Nicola Bremer hat bereits durch sein halbimprovisertes Format „Selfies in der Utopie“, bei der er Schauspielende ohne Probe in einen Abend schickt, für Aufsehen gesorgt, daher ist sein Einsatz hier folgerichtig.
Der beste Chef der Welt
Im Mittelpunkt steht Figaro (Gerolamo Fancellu), der mit seinen beiden Kolleg:innen Jochen (Ireneusz Rosinki) und Susanne (Sabine Krug) in einer Kaffeefabrik arbeitet, die jeden Tag einen neuen Kaffee auf den Markt wirft und entsprechend vermarkten muss. Ihr Chef (David Thomas Pawlak) hält sich für einen großen Komiker, einen noch größeren Freund und den besten Chef der Welt. Der Rest sieht das anders. Auf die Zahlen schaut die Frau Dr. Unternehmensberaterin (Maria Weber), die von allen nur die Unternehmensdiktatorin genannt wird. Wie immer naht das Ende des Quartals und so muss das Hamsterrad sich immer schneller drehen, um profitabel zu bleiben in der Maschine der Wachstumsideologie.
Dieses Hamsterrad steht nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch auf der Bühne: Aus einer Mischung von Espressokanne, Wecker und Laufrad hat Wiebke Heeren eine übergroße Maschine gebaut, die per Laufrad immer bewegt werden muss. Das Stück beginnt als lustige Verkaufsshow für den Sieben-Meilen-Kaffee (der Kaffee wird tatsächlich von einer lokalen Rösterei produziert und kann für fünf Euro käuflich erworben werden), was nicht von ungefähr an Verkaufsshows im Privatfernsehen oder auf Online-Kanälen erinnert. Fancellu gibt seinem Figaro eine gleichzeitig überdrehte wie auch sentimentale Note. Ein kleiner Hanswurst, der den Kaffee zwar verkaufen, aber nie kosten darf. Eine Pointe der Zustände, wo der Ausgebeutete das Ergebnis seiner Ausbeutung nicht einmal kennenlernen darf. Maximale Entfremdung.
Im Hamsterrad des Spätkapitalismus
Zudem ist Figaro natürlich verliebt in seine Kollegin Susanne, der nächste Eiertanz. In einer zweiten Stückebene träumt er sich durch die Welt und wird darin mehr und mehr zum Hamster, wenn er sein Leiden in der ewigen Mühle erkennt. Hier wird es mitunter paradox philosophisch, doch jede Erkenntnis kommt zugleich mit einem Augenzwinkern daher, ebenso wie die eigentlich beißende Kritik am spätkapitalistischen Verfügbarseinmythos: „Haben wir uns unser eigenes Hamsterrad selbst gebaut?“
Das Stück exerziert einiges an Kritik durch: Zahlen versus Menschen, die Unterschiede zwischen Freund und Chef, innerbetriebliche Konkurrenz und drohender Arbeitsplatzverlust zur Motivation, aktive Kundentäuschung und dergleichen mehr. Komödiantisch treffsicher werden die Hochs und vor allem die Tiefs der postmodernen Arbeitskultur durchdekliniert, aber ohne jegliche Schwere. Dafür sorgt auch Allessio Arena, der mit seiner Gitarre gerne mal italienische Schlager zum Besten gibt und die obligatorischen Liebesszenen – auch diese gibt es natürlich samt lustigen Verwechslungen – mit sanften Saitenklängen untermalt.
Die Spielenden funktionieren über die knapp zwei Stunden wie eine gut geölte Maschine, die Pointen und das Timing sitzen und selbst den größten eingebildeten Kotzbrocken lassen sie noch sympathisch rüberkommen, denn eigentlich sind ja doch alle ganz nett. Platz zum Aufdrehen liefern vor allem die Traumsequenzen, in der auch schon mal römische Kaiser, eine Wahrsagerin oder eine Truppe der Commedia dell’ arte ihre Aufwartung machen.
Eine andere Welt jenseits der Zwänge ist möglich, das zeigt zumindest der Schluss, doch vielleicht ist ein solcher Moment des Innehalten auch nur eine freundliche Utopie. In Zittau auf jeden Fall macht das alles vor allem einen Riesenspaß. So charmant wurde der Wahnsinn unser Arbeitswelt selten erklärt.