Foto: „Buddenbrooks“ im Bühnenbild von Lars Peter. Vorn: Jörg Sabrowksi (Thomas Buddenbrook), rechts: Tatia Jibladze (Gerda Buddenbrook) © Olaf Struck
Text:Detlef Brandenburg, am 5. Mai 2024
Vielleicht muss nicht jeder Roman unbedingt Musiktheater werden? Am Kieler Opernhaus jedenfalls blieben Ludger Vollmer, Feridun Zaimoglu, Günter Senkel und Daniel Karasek den Beweis schuldig, dass Thomas Manns berühmter Debütroman „Buddenbrooks“ unbedingt Noten braucht.
Mehr Prominenz kann man im hohen Norden der Republik in Sachen Musiktheater eigentlich kaum mehr aufbieten: Thomas Manns „Buddenbrooks“: der Lübeck-Roman, vollendet kurz nach Manns 25. Geburtstag, der ihm den ebenso frühen wie fulminanten Durchbruch als Schriftsteller bescherte. Feridun Zaimoglu und Günter Senkel als Autoren der Opernfassung, beide in Kiel lebend und Verfasser zahlreicher gemeinsamer Theaterfassungen nach Vorlagen vielfältigster Provenienz. Ludger Vollmer, der in Hamburg lebende Komponist, der Werke unterschiedlichster Genres äußerst erfolgreich in Opern verwandelt hat und dafür sogar ein eigenes Kompositionsverfahren, benannt Fast Rhythm Advanced Music Experience, entwickelt hat. Und schließlich das Kieler Opernhaus, wo es sich Daniel Karasek (seit 2007 Generalintendant des Theaters der Landeshauptstadt) nicht nehmen ließ, die nun uraufgeführte „Buddenbrooks“-Oper selbst zu inszenieren. Das Publikum erwies dem hohen Aufgebot die Ehre und jubelte in den höchsten Tönen.
Karikaturen der Figuren von Thomas Mann
Aber was genau wurde da eigentlich so bejubelt? Vielleicht ja am ehesten der hochprofessionelle künstlerische Aufwand? Denn das muss man den Beteiligten zugestehen: Man erlebte meist gute bis sehr gute Sängerdarsteller und -darstellerinnen. Man lauschte einem Orchester, das Vollmers schillernd wechselnden Stil-Allusionen und Zitat-Arrangements mit Wendigkeit und Brillanz folgte. Und man sah auf der von Lars Peter in vornehmem Türkis gehaltenen Bühne eine Inszenierung, die die rasanten Rhythmus- und Szenenwechsel geschickt arrangierte und die das von Claudia Spielmann vornehm eingekleidete Personal ordentlich auf Trab hielt, während vom Schwarz-Weiß-Video hinten der Stammvater mit milder Strenge auf alles herabschaut. Dass die Bühne zum Werk eine eigene Haltung erkennen ließ, kann man ihr nicht nachsagen. Und damit beginnen die Probleme.
Zaimoglu, Senkel und Vollmer geben im Programmheft zu Protokoll, dass die Textautoren dem Komponisten ihr Material als „Knetmasse“ zur Verfügung gestellt haben, aus denen dieser seine Figuren modellieren konnte. Leider sind auf diese Weise aber arg klischeehafte Karikaturen der Thomas-Mann-Charaktere entstanden. Insbesondere die Aktualisierungen, die die Autoren ihrer Vorlage angedeihen lassen, wirken unterkomplex: Aus den Getreidehändlern des Romans werden hier moralisch depravierte Waffenhändler, die sich ein fadenscheiniges grünes Image geben. Tony Buddenbrook wird zur mondänen Partylady, die sich unversehens als Gelegenheitsfeministin outet. Der kränkliche, gehemmte Hanno verdingt sich offensiv als Propagandist seiner genderqueeren Identität und wird mit der ihm als charakteristisches Instrument zugordneten Theorbe zum Popstar der Inszenierung. Und die Hagenströms werden zu überzeichneten Karikaturen karrieregeiler Parvenüs.
Die Hagenströms werden in Kiel zu Witznummern. Foto: Olaf Struck
„Buddenbrooks“ wird zur klischeehaften Oper
Das alles ist im Vergleich zum Roman einerseits furchtbar klischeehaft. Die vollkommen neu arrangierten Erzählzusammenhänge sind aber andererseits so kompliziert, dass die Figuren permanent mit Nacherzählungen und Selbstbeschreibungen beschäftigt sind, statt wirklich dramatisch zu interagieren. Und die Konfrontationen – Thomas und Christian liefern sich am Katafalk mit dem Sarg der verstorbenen Clara gar eine handfeste Prügelei – sind in ihrer moralischen Bewertung so überdeutlich akzentuiert, dass sie laut, aber langweilig geraten.
All das wird durch Vollmers Musik nicht besser, die den Eklektizismus zum Stilprinzip macht und Zitate so überdeutlich ausstellt, dass es manchmal schon enervierend wirkt. Die christlich-pietistische Ideologie der Kaufleute wird in oratorischen Chören ausgestellt (wodurch dem Opernchor immerhin dankbare Aufgaben zuwachsen). Den drei Akten sind jeweils passende musikalische Stilklischee-Arrangements zugeordnet: Der 1. Akt zeigt die Party zur Einweihung des neuen Hauses von Thomas und Gerda Buddenbrook und zitiert in abwechslungsreicher Reihung Gesellschaftstänze, in den charakterisierenden Soloszenen der Figuren aber auch Wagner-, Händel- oder Choralzitate, Volkslieder und anderes mehr. Der 2. Akt spielt am Sarg der toten Clara, entsprechend dominiert anfangs düstere Requiem-Atmosphäre. Im 3. Akt zerstören (nach Hannos Tod) die Hagenströms das neue Haus und treiben die Parvernü-Karikatur auf die Spitze. Die Musik ist auf abwechslungsreiche Weise illustrativ, bringt aber nur selten neue Sinnzusammenhänge ins Spiel. Die Zitate, Stil- und Genre-Parodien kleben wie Abziehbilder an der Oberfläche des Geschehens.
Elmar Hauser ist der Star dieser Kieler Opernproduktion. Foto: Olaf Struck
Überzeugendes Ensemble in Kiel
Karaseks schicke, stilvolle Inszenierung verleiht alldem ein gefälliges Erscheinungsbild, nicht mehr, nicht weniger. Und der scheidende Generalmusikdirektor Benjamin Reiners, der 2025 nach Chemnitz wechseln wird, bringt die Energie und den Klangfarbenreichtum dieser mit Schlagwerk überreich abgetönten Musik effektvoll ins Auditorium. Die Gesangssolisten und -solistinnen – fast alle aus dem eigenen Ensemble – machen ihre Sache in überwiegend gut. Star des Abends ist der Countertenor Elmar Hauser als Hanno Buddenbrook, dessen von der Theorbe begleitete Melodien zu Rilke-Texten Erinnerungen an elisabethanische Lautenmusik evozieren, und der mit einer geradezu jugendlich klaren, bezaubernd timbrierten Stimme singt.
Auch der Bariton Stefan Sevenich macht als Hermann Hagenström seine Sache herausragend, stimmlich wie darstellerisch, weil er in der Karikatur ein richtig lustvoller Komödiant ist. Jörg Sabrowski hat als Hauptfigur dieses Abends eine Mammutaufgabe, der er sich mit markanter Kontur, vorzüglicher Artikulation und viel Kraft stellt. Xenia Cumento muss als Tony Buddenbrook anspruchsvolle Koloraturen, aber auch viele Legato- und Parlando-Passagen bewältigen, insbesondere ihre silbrigen Koloraturketten machen Freude. Den Pastor Tiburtius, der hier zum XXL-Klischee des fiesen Pfaffen aufgeblasen wird, singt Matteo Maria Ferretti mit dunklem, dennoch manchmal etwas dünnem Bass.
Manches könnte einem da durchaus gefallen – wenn bloß nicht „Buddenbrooks“ drüberstünde …