Foto: Thomas Hauser in "Homeoffice" am Schauspielhaus Düsseldorf © Thomas Rabsch
Text:Julia Plaschke, am 21. April 2024
Der japanische Theaterstar Toshiki Okada bringt am Düsseldorfer Schauspielhaus einen vertrauten Stoff mit verstörender Ästhetik auf die Bühne. Ein beeindruckendes Spiel mit der Wahrnehmung, das das Publikum in ein Wechselbad der Empfindungen taucht.
Ein Stück über das Leben im Homeoffice? Das ist mal ein Theaterstoff, bei dem nach der Pandemie fast alle mitreden können. Unter den Zuschauenden der Uraufführung des neuen Werks von Toshiki Okada am Düsseldorfer Schauspielhaus dürfte wohl kaum jemand sein, der dazu keine eigenen Geschichten zum Besten geben könnte. Und so stellt sich schon beim Anblick des Bühnenbildes ein Gefühl der Vertrautheit ein.
Komplexe Lebenswelten in Düsseldorf
Ansgar Prüwer hat das Große Haus für diese erste Düsseldorfer Inszenierung des gefeierten japanischen Regisseurs zu einer gigantischen Puppenstube gemacht. Sechs Zimmer verteilen sich auf zwei Etagen. In einem von ihnen sitzt Kilian Ponert als Tsubasa mit einem Laptop auf dem Bett. Kostümbildnerin Tutia Schaad hat ihn mit Hemd, Krawatte und Pantoffeln gekleidet. Im Zimmer unter ihm wartet Joe-San (Rainer Philippi) als Altrocker in gestreifter Schlaghose auf einem getigerten Sofa auf den Beginn des Online-Meetings, an dem im Laufe des Stücks alle sieben Angestellten einer fiktiven Firma teilnehmen werden.
Langsam kommt Leben in die Szenerie, in der sich in den nächsten knapp zwei Stunden die kleinen und größeren Dramen abspielen, die die Arbeit in den eigenen vier Wänden mit sich bringt. Aber irgendetwas ist anders als erwartet: Warum schlenkert Thomas Hauser als Motojiro, der sich seinen Arbeitsplatz in der Familienküche eingerichtet hat, so seltsam mit den Armen? Weshalb gestikuliert Hajime (Belendjwa Peter) in einer Art und Weise, die überhaupt nicht zu dem passt, was er sagt? Und wieso macht Tamachan (Blanka Winkler), die in Plüschpantoffeln zwischen Umzugskartons steht, pausenlos unnatürliche Verrenkungen?
Das ist die Handschrift von Toshiki Okada. Die Figuren seiner Stücke lässt er stets mit einer eigenwilligen Körpersprache agieren. Eine Choreografie, die er einsetzt, um die Psyche der Charaktere sichtbar zu machen. Der Regisseur erklärt seine Arbeitsweise so: Die Bewegungen sollen das Innere spiegeln, während der Text abgekoppelt wird.
Die Bühne von Ansgar Prüwer schafft wunderbare Lebenswelten in Düsseldorf. Foto: Thomas Rabsch
Theater der Irritationen
Das muss man erstmal verdauen. Die Irritation im Saal ist zu spüren. Gelöst ist die Stimmung immer dann, wenn auf der Bühne Bekanntes aus dem Leben im Homeoffice geschieht. Nervige Online-Meetings? Das kennen wir. Die Suche nach dem idealen Kamerawinkel für eine vorteilhafte Gesichtsoptik auch. Gelacht wird bei Sätzen wie „Kein WLAN zu haben ist fast so, als würde ich nicht existieren.“ Aber sich auf diese seltsam anmutende Ästhetik einzulassen, das ist eine Herausforderung. Nach der Vorstellung wird eine Zuschauerin ihren Begleiter fragen: „Hast du verstanden, warum die die ganze Zeit so rumgehampelt haben?“
Toshiki Okada macht es uns nicht leicht. Es gibt keine verständliche Handlung, die Orientierung bietet. Irgendwie geht es um ein Glücksversprechen, mit dem die Firma bei ihren Kunden einen Shitstorm ausgelöst hat. Dabei spielt auch die KI eine Rolle. Wirklich klar wird das nicht. Aber vielleicht ist das alles so gewollt. Dazu kommt, dass in dem Paralleluniversum der Zimmer so viel passiert, dass man gar nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll. Und dann sind da auch noch die Übertitel auf Japanisch und Englisch. Und die sphärischen Klänge von Kazuhisa Uchihashi, die das Verstörende des Bühnenspektakels noch verstärken.
Vieles passiert an diesem Düsseldorfer Abend von Toshiki Okada gleichzeitig. Foto: Thomas Rabsch
Theater über das neue Normal
Das Stück ist ein Ritt durch ein Wechselbad der Empfindungen. Manches ist wirklich komisch, anderes so übertrieben clownesk, absurd oder nervtötend, dass es schwer auszuhalten ist. Langweilige Passagen sind auch dabei — wenn die Tristesse aus dem Homeoffice in den Publikumssaal schwappt. Wie bei einem Zoom-Meeting, das sich wie Kaugummi zieht.
Aber da sind auch zutiefst anrührende Momente, wenn die Einsamkeit fühlbar wird, die das Tête-à-tête mit dem Computerbildschirm verströmt. Claudius Steffens macht als Ryuji Gesten, als wolle er sich selbst umarmen. Kagekiyo (Sonja Beißwenger) muss sich offenbar pausenlos bewegen, um die Situation auszuhalten. Und wenn Motojiro unter den Küchenteppich kriecht, wird klar, dass diese neue Arbeitswirklichkeit, die sich nach der Pandemie etabliert hat, viel mehr mit uns Menschen macht als uns gut tut.
Das Ensemble macht einen großartigen Job. Das muss man erstmal schaffen, in einem solchen Gegensatz von Sprache und Körperlichkeit zu agieren. Man wünscht ihnen und Toshiki Okada, dass sich das Publikum auf ihr beeindruckendes Spiel mit der Wahrnehmung einlässt. Es ist ein bereicherndes Erlebnis, das nicht jedem gefällt. Einige verließen am Ende fluchtartig den Saal. Andere applaudierten begeistert.