Foto: Gloria Jieun Choi singt die Frau in Poulencs „Die menschliche Stimme“ am Staatstheater Cottbus © Bernd Schönberger
Text:Matthias Nöther, am 21. April 2024
Poulencs spätes Meisterwerk „Die menschliche Stimme“ erzählt von einem Telefonat und Einsamkeit. Am Staatstheater Cottbus wird das Stück wunderbar gespielt und von Michael Wilhelmi und Claudia Meyer ins 21. Jahrhundert erweitert. Die Produktion begeistert mit klarer Diktion und Hoffnung.
„Zusammen – hier“ hat der Intendant des Staatstheaters Cottbus Stephan Märki der aktuellen Spielzeit als Motto vorangestellt. Der Kammeropern-Abend „Die menschliche Stimme / Kopf in den Wolken“, der in der Kammerbühne jenseits des prunkvollen Jugendstil-Haupthauses stattfindet, lässt noch einmal klarer werden, was dieses lapidare Motto bedeutet. Märki, heute 69 Jahre alt, trat im Jahr 2020 am Staatstheater Cottbus seine letzte Intendanz an – in einer Lausitz, die damals gerade in die Corona-Pandemie schlitterte. In einer Stadt wie Cottbus, wo ohnehin schon der Strukturwandel von der Tagebau- zur Wissenschaftsstadt viele Einwohner in Unsicherheit stürzt, dürfte seitdem die Vereinsamung ein extra großes Thema sein – was heute auch oft das Sich-Verlieren in virtuellen Räumen bedeutet.
Ein Klassiker über das Telefonieren
Wer allerdings das Monodrama „La voix humaine“ des reifen Komponisten Francis Poulenc aus dem Jahr 1959 hört, dem wird die Universalität und Zeitlosigkeit dieser Einsamkeit, ja sogar dieses Sich-Verlierens vor Augen geführt. Es ist ein moderner Klassiker des Theaters und des Musiktheaters nach einem Text von Jean Cocteau. Er wird in Cottbus in der ebenso klassischen Übersetzung von Wolfgang Binal gespielt.
Eine junge Frau, allein in ihrer kleinen Wohnung, verhandelt am Telefon monologisch ihr Schicksal. Ihren Gegenpart, den abtrünnigen Geliebten, hört man nicht. Cocteau schrieb sein Monodrama im Jahr 1930. Dass in einem Telefonapparat jemand anwesend sein konnte, ohne körperlich präsent zu sein, war damals keine lebensweltliche Selbstverständlichkeit. Cocteau definierte die Hauptperson als einsam und ihren ständig wechselnden Emotionen (je nach Gesprächsinhalt mit dem körperlosen Gegenüber) vollständig ausgeliefert.
Gloria Jieun Choi spielt die Rolle der Frau in Cottbus überzeugend und stimmstark. Foto: Bernd Schönberger
Theater über Angst der Kommunikation
Gerade diese ständigen Wechsel sind es, die der 60-jährige Poulenc musikalisch meisterhaft fasst. In Cottbus werden diese von der jungen koreanischen Sopranistin Gloria Jieun Choi mit Engagement dargeboten werden, mit Klavierbegleitung von Michael Wilhelmi. Sein Flügel ist in farblose Bubble-Folie eingepackt, einige Töne sind so präpariert, dass sie tatsächlich klingen wie diese völlig aseptischen Wartezeichen-Töne der 1960er-Jahre.
Denn die Verbindung bricht öfters mal ab. Für Cocteau war das einst die philosophische Pointe des Ganzen: „Wir wurden getrennt“, konstatiert die einsam Liebende immer wieder erschrocken. Es ist weder nur eine technische Trennung noch nur ein Liebes-Aus – es ist wie eine Vertreibung aus dem Paradies der zwischenmenschlichen Beziehung durch Aufklärung und Technologie. Beachtlich ist, wie Gloria Jieun Choi, gerade erst von der Hanns-Eisler-Hochschule in ihr erstes Engagement nach Cottbus gewechselt, ungeachtet ihrer Fremdsprachigkeit die umfangreiche Partie bewältigt.
Bühnenbildner Aurel Lenfert hat in Cottbus gleich mehrere Orte der Einsamkeit auf die Bühne gestellt. Foto: Bernd Schönberger
Verlängerung in die digitale Welt
Und sie übernimmt noch eine zweite Rolle: Denn Pianist Michael Wilhelmi hat dem Monodrama gemeinsam mit Regisseurin Claudia Meyer, die das Stück auch geschrieben hat, das Musiktheater „Kopf in den Wolken“ für drei Solisten und Klavier hinzugefügt. Es ist sozusagen eine Verlängerung von „La voix humaine“ ins Zeitalter von Smartphone, Social Media und Virtual Reality. Nun kommen die zweistöckigen Ein-Zimmer-Wohnungen zur Geltung, die Bühnenbildner Aurel Lenfert hämisch im schlimmsten Ikea-Style gehalten hat.
Regisseurin Claudia Meyer setzt ihren drei Protagonisten hautfarbene Gesichtsmasken auf: Trotz vieler bunter Avatare ist das echte menschliche Antlitz in digitalen Messenger-Diensten und Chats schließlich – oder aber technisch konstruiert, inszeniert und vermittelt. Als betonter Gegensatz zur angeblich so hippen Digitalität: die gestrickten Kostüme der ukrainischen Künstlerin Ksenia Sobotovych. Sie passen gut ins neue Digital-Biedermeier.
Michael Wilhelmi hat in Cottbus Poulencs Monodram mit flächigen Klängen erweitert. Foto: Bernd Schönberger
Hoffnung in Cottbus
Poulencs punktgenaue, zarte Tupfermusik wechselt in Wilhelmis Komposition ins Flächige, Post-Romantische. Neben Gloria Jieun Choi dürfen nun Sopranistin Rahel Brede und Tenor Hardy Brachmann ungefilterte große Oper mit großen Stimmen machen. Die Verzweiflung in den Einzelzellen ist schließlich groß – und die Unmöglichkeit von Kommunikation wird angesichts der Gewöhnung an die technische und die simulierte menschliche Perfektion nur noch größer. Das ist ein Gedanke, den man (sich an der bewundernswerten Textverständlichkeit ohne Übertitelung orientierend) zuverlässig aus Cottbus mitnehmen kann.
Und es gibt Hoffnung: Erste, sich zurücktastende Schritte in die Welt der Kommunikation mit einem echten Gegenüber sind erstmal unbequeme Stolperfallen. Und doch findet als erste von den Dreien Darstellerin Gloria Jieun Choi, die Protagonistin der Poulenc-Oper, zurück in die wirkliche Welt. Verwirrt und beglückt angesichts der Kompliziertheit da draußen. Überzeugend!