Foto: Jan Friedrich Eggers und Susann Vent-Wunderlich in "Herzog Blaubarts Burg" © Stephan Glagla
Text:Andreas Falentin, am 21. April 2024
Ulrich Mokrusch gelingt es am Theater Osnabrück, „Ohne Blut“ von Péter Eötvös und „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók szenisch zusammenzuschmelzen. Solisten und Orchester zeigen sich dieser großen Aufgabe mehr als gewachsen.
„Senza Sangue“ (deutsch „Ohne Blut“) hat der Komponist Péter Eötvös als eine Art Gegenstück zur ungarischen Nationaloper „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók konzipiert: die Besetzung, Sopran und Bariton, ist identisch, die Länge und die Instrumentierung ähnlich und auf der inhaltlichen Ebene gibt es viele Wechselbeziehungen.
Nach der konzertanten Uraufführung von „Senza Sangue“ in Köln 2015 gab es in Deutschland nur eine Aufführung (2016 in Hamburg) mit beiden Stücken. Osnabrücks Intendant Ulrich Mokrusch ist der erste Regisseur, der beide Stücke wirklich zusammendenkt. Dafür hat er die Figuren erstmals identisch besetzt, mit den Osnabrücker Ensemble-Veteranen Susann Vent-Wunderlich und Jan Friedrich Eggers, und „Ohne Blut“ mit Mithilfe des Schott-Verlags und mit der Zustimmung des kürzlich verstorbenen Komponisten ins Deutsche übersetzt, damit man das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren – und den Stücken – besser versteht.
Aufeinander bezogen
„Ohne Blut“, nach einer Novelle von Alessandro Barricco, spielt nach einem europäischen Bürgerkrieg. Drei Männer ermorden eine Familie, vermutlich aus Rache. Einer entdeckt dabei die noch lebende Tochter und verschont sie – diese Vorgeschichte wird in Osnabrück als Statisten-Pantomime aufgeführt, was etwas unglücklich, zu sehr verkleinert wirkt. 40 Jahre später begegnen die Überlebende und der Mörder sich wieder, in einem Café, das durchaus realistisch ausgestattet ist, wo Kellner sogar Blumensträuße auf den Tischen verteilen. Das Paar versucht, sich anzunähern: Er erkennt sie, weiß, dass sie seine Kumpanen ermordet hat und wartet auf den Tod; und sie erkennt ihn ihrerseits ebenfalls und ringt mit der Mordtat. Dann schlägt sie plötzlich vor, mit ihm in ein Hotelzimmer zu gehen – das Ende bleibt offen.
In Osnabrück steigt das Paar durch eine Tür im Bühnenboden. Nach der Pause kommen sie wieder herauf, jetzt sind sie sofort in Herzog Blaubarts Burg, ohne jeden Bruch zwischen den beiden Stücken. Nur die Kostüme sind anders, weniger heutig, wodurch beide älter wirken. Die Bühne ist nun eine schräge, den ganzen Raum ausfüllende Treppe aus Metallstufen, anfangs von einer Gaze bedeckt. Es gibt keine sieben Türen, überhaupt keine Illustrationen von Bartóks Macht- und Besitzmetaphern, nur Lichtspiele und -stimmungen, die die Haltungen des Herzogs im leeren Raum auf der Treppe untermalen. An Ende geht Judith, die Frau, einfach weg. Sie hat sich entschieden.
Nackte Konflikte
Dieses Ende von „Herzog Blaubarts Burg“ versteht man durch das vorangegangene Stück „Ohne Blut“: Der Inszenierung von Ulrich Mokrusch ist es mit ihren sehr musikalischen, szenisch eher zurückhaltenden Tableaus gelungen, der kruden, nicht sehr feministischen Märchenhandlung von „Herzog Blaubarts Burg“ ein realistisches Fundament zu geben.
Die Biographien von „Ohne Blut“ werden Teil der Geschlechterdramaturgie von „Herzog Blaubarts Burg“ – und lösen diese auf. Wir haben nicht mehr Mann und Frau, sondern Täter und Opfer, aktiv und passiv, Neugier und Geheimnis, sozusagen nackte Konflikte statt angezogener Figuren. Es geht um die Deduktion an sich, um ein für die eigene Existenz nötiges sich Aufklären, so wird die Musik von Bartók und Eötvös, trotz ihrer großen Unterschiede, gemeinsam zu einer Seelenmusik. Und man versteht so das neue Ende auch aus der Musik.
Grandiose Sängerleistungen
Susann Vent-Wunderlich – mit bravourös leuchtender Höhe und am Anfang etwas zu viel Vibrato – und der formidable Jan Friedrich Eggers spielen durchaus distanziert, aber sehr genau und vor allem sehr zusammen. Das ist nicht nur körperlich eine tolle Leistung der beiden Sänger. Auch der Text ist in jedem Moment verständlich, es gibt keine Untertitel und es muss keine geben.
Das Orchester sitzt, der Raum-Konstruktion von Okarina Peter und Timo Dentler geschuldet, hinter der Bühne, manchmal zu sehen, oft eher zu ahnen. Das nützt der Klangbalance mit den Solisten, aber es schadet der Musik von „Ohne Blut“, Eötvös‘ schlankes, gezacktes Nervendiagramm verliert Dichte, Farben und Präsenz. Andererseits geht „Herzog Blaubarts Burg“ etwas vom romantischen Überwältigungsgestus ab, da sind eher Teile der Musik zu hören als das ganze Werk – die ungarischen Volksliedmelodien-Partikel, die eine Keimzelle des Werks sind, hört man hier deutlich heraus. Auf jeden Fall ist zu spüren, dass das Osnabrücker Symphonieorchester und sein GMD Andreas Hotz an diesem Abend in sehr guter Form sind. Hohe, feine Streicherlinien ragen heraus. Ein großer Opernabend in Osnabrück.