Foto: Ensemble © Robert Schittko
Text:Martina Jacobi, am 13. April 2024
Bonn Park inszeniert nach „Keine Sorge Religion“ in einer Art Gottesdienstsetting in Düsseldorf nun am Schauspiel Frankfurt sein Coming of Age-Stück „They Them Okocha“. Das Stück über Nostalgie kritisiert feinsinnig Zukunftsangst und zeigt, was passiert, wenn mensch meint, „groß“ werden zu müssen.
Nostalgie und Frankfurt: Dazu gehört Jay-Jay Okocha, der 1993 im Waldstadion für einen historischen Bundesligamoment sorgte, ein Tanz mit Oliver Kahn – „noch ein Dreher, noch ein Dreher und – drin!“ Deswegen ist der Spieler im Titel von Bonn Parks Coming of Age-Uraufführung „They Them Okocha“ am Schauspiel Frankfurt, deswegen hängt ein riesiges Bild im Bühnenhintergrund eines Kinderzimmers mit knallbunten Wänden (Bühne: Sina Manthey).
Die Hauptfiguren und Kindheitsfreunde Cem (Lioba Kippe), Noah-Wilhelm (André Meyer), Jürgen A. (Arash Nayebbandi) und Jürgen D. (Jannik Mühlenweg) in kurzhosigen Schüler:innenoutfits, singen live vom Klavier begleitet den Themensong von „Malcolm mitten drin“ (Musik: Ben Roessler), heben einen alten Röhrenfernseher aus dem Grab. Bonn Park inszeniert eine Reise in die Nostalgie, in die guten Gefühle der Vergangenheit, denn „jetzt“ ist immer nicht gut und „später“ ist immer noch schlimmer. Die Zeitgrenzen verschwimmen, Erinnerung, Gegenwart und die ungewisse, angsteinflössende Zukunft finden zeitgleich statt. Auf das Gewesene, Vergessene, Tote spielen trist gehaltene Kostüme und weiß geschminkte Gesichter an (Kostüm: Leonie Falke), oder Cem, die mit ungelenken Bewegungen nicht mehr so genau weiß, wie man mit Bauklötzen spielt. Die vier versuchen sich an ihre kindliche Verbindung zu erinnern, was war das noch, diese „Freundschaft“? Nostalgie ist oft irgendein Song und der Herzschlag noch im Bauch der Mutter war ein wirklich gutes Lied.
Eine Partie Freundschaft
Hinter dem Text versteckt sich ziemlich Seriöses. Die vier spielen eine Partie „Freundschaft“ und gleichzeitig „Der Boden ist Lava“. Was ist Spiel? Was ist echt? Entweder man spielt oder nicht. Und wer nicht mitspielen will, weiß wo die Tür ist. Dabei ist Freundschaft ein ernst zu nehmendes Ding, „wir sind wie Polizei, nur in Fürsorge“, heißt es da. Außerdem gab es beim Spiel noch keine „wirklichen“ Feinde – und später?
Es ist ein stetiges „sich weigern“, über die Kindheit und Jugend hinauszuwachsen. Alles danach ist einfach nur „der Rest“. „Wenn dir das Leben Zitronen gibt, spritz dir den Saft in die Augen und weine“, sagt Jürgen D.. Die kindliche Vorstellung und das Unverständnis über die „Großen“ äußert sich in einem riesigen Bein mit Fuß, das aus der Seitenwand herausschlackert, plus ein unartikuliertes, ohrenbetäubendes Röhren und Brüllen, die Sprache der Großen.
Tanz mit dem Sensenmann
Zu Taio Cruz’ „Hangover“ wird die Jugend mit Jeansjacke und Tolle-Frisuren eingeläutet, jetzt statt mit Unverständnis mit Ablehnung der Großen. Mit „Wir haben noch nie bei Nestlé gearbeitet, wir waren immer nur in der Schule oder Zuhause“ wird sich die Unschuld bewahrt. Aber spätestens ab jetzt wird älter werden richtig gruselig. Es wartet schon die Geisterbahn am rechten Bühnenrand, währen ein musikalischer Erlkönigverschnitt erklingt – spätestens jetzt flüstert im Publikum jemand eine Reihe weiter hinten, „da sitzt schon die ganze Zeit der Sensenmann (Ralf Merten) am Klavier“. Traut euch doch auf die Geisterbahn, „fahrt mit der ‚Blick in die Zukunft‘“, ruft Noah-Wilhelm. Dabei seien viele aber auch schon umgekommen.
Im „Rest“ begegnen sich die vier wieder, sind Herren geworden, mit überdimensionierten oder zu kleinen Anzügen, zu langen Armen, auf einem zu großen Bürostuhl, den sie mit einer Leiter erklimmen müssen. Das ist alles unförmig. „Wie geht’s?“, fragt Cem. „Ja“, sagen die anderen, singen einen Reigen aus verlorenen, identitätsstiftenden Themen: „Meine Pronomen, Ausländer raus, ich bin ein schlechter Mensch, du bist ein schlechter Mensch.“ Dann begeben sie sich zum Tanz mit dem Sensenmann, der ja eh schon immer da war.
They? Them? Die Identitäten der vier sind recht allgemein deutsch und weiß charakterisiert. Inhalt und Text sind feinsinnig und kritisch strukturiert, wollen die vierte Wand aber nicht immer so recht durchstoßen, was vielleicht auch an dem ruhigen und so etwas statischen Vortrag und Tempo liegen mag. Das wiederum passt zum verlorenen, unentschiedenen „Groß-Sein“ doch sehr gut. Zu Des’rees „You Gotta Be“ endet Bonn Parks Coming of Age-Experiment schließlich mit einem ziemlich gut unterhaltenen Publikum.