Foto: Cornelia Löhr, Kerstin Maus, Oliver Hildebrandt © Harald Dietz
Text:Roland H. Dippel, am 25. März 2024
Regisseurin Christina Wuga inszeniert Wolfram Lotz‘ Theatergedicht „die politiker“ im Turbotempo. Die drei Spielenden imponieren mit Geschwindigkeitsakkumulation – Theatersport, der beim Publikum gut ankommt.
Bitte auf der Zunge zergehen lassen: „Man könnte das Stück ja auch mit einem einstündigen Katzenvideo vergleichen, dass man sich ansieht und gar nicht mitbekommt, dass eine Stunde vergangen ist. Wenn die Katze aber irgendwelche Botschaften mitsendet, hat man diese trotzdem verankert.“ So artikuliert Aylin Kaip sich zu ihrer Ausstattung des nach der Uraufführung im Deutschen Theater Berlin 2019 jetzt nach den Stationen Hamburg, München, Villach im Studio des Theater Hof aufgeschlagenen Theatergedichts „die politiker“. In Hof nennt man den Sprechtext – erstmals publiziert 2019 – „Sprechtheater“. Der aus Baden-Württemberg stammende Autor Wolfram Lotz, der sich in diesem Stück vor entscheidenden Sätzen selbst anspricht, gibt keine Direktiven für die das Titelwort hemmungslos entwertenden, sezierenden und ausschlachtenden Tiraden. Diese sind ebenso mäandernd wie Lotz‘ knüppeldicke „Heilige Schrift“, aber weitaus kürzer und vor allem linear. „die politiker“ will keine Strophenballade sein. Das appellative Langgedicht mit dem Wechsel von Aussagen und Appellen kommt dem Nonsense-Potential eines Limericks nahe und dimmt hier das enthaltene Kritikpotenzial durch Wortschwall fast ins Dunkel.
Für die Regisseurin Christina Wuga hat Aylin Kaip die Spielenden in weiße Overalls mit nach unten fallenden Schrittschnitten und wuchtigen Seiten-, Bein-, Gesäßtaschen gesteckt. Das wirkt wie ein Trio von Katzen-Urwampen, hindert aber nicht an zackigen Bewegungen. Um die Deckenscheinwerfer sind drei riesige Krawatten in Bordeauxrot geschlungen, die in den Spieleifer hinunterfallen. Dahinter steht eine Gruppe fast lebensgroßer Menschenfiguren-Platten, dräut als graue Masse und nichtmaterielle Hörerschaft. Besagt alles und nichts, lenkt aber nicht von Lotz‘ platten, burlesken, zotigen und Gelächter ziehenden Wortspielen ab.
Beballerung in Kurzsätzen
Drei ist eine gute Darstellenden-Zahl für diesen Stück-Durchsturm, dessen überwiegend im qualitativen Mittelfeld angesiedelten Assiziationsreichtum und die hier temporeiche Verteidigung mit Behauptung eines kohärenten Stücksinns. Wolfram Lotz ordnete für seinen gleichermaßen als Lesetext, Theater oder Hörspiel funktionablen Text keine allgemein gültige Rollenverteilung und Ensemblestärke an. Die Dreizahl in Hof – Oliver Hildebrandt, Cornelia Löhr, Kerstin Maus – verhindert allzu einfache Symmetrien zu Lotz‘ Sprachgewitter und ermöglicht neben Parallelbewegungen choreographische Potenziale und Spannungsfelder auf glattem Boden. Drei ist auch die genau richtige Darstellenden-Zahl für Bewegungen mit angewinkelten Armen, für Sitzen, Rollen, Kugeln und Marschieren im Stand.
Besonders eindrucksvoll ist, wie oft man das Wort „Politiker“ aussprechen kann, sich dabei nicht verhaspelt und trotz Turbotempo bis kurz vorm Laber-Flash am Schluss noch immer Lippen rollt und Vokale schmeckt. Die Beballerung durch laut skandierte und fast geschriene Kurzsätze, in denen das Titelwort „Politiker“ als Subjekt fast immer am Anfang steht, dauert hochsportive 55 Minuten. Am Beginn geht die Beschimpfung der hier nicht glänzenden, natürlich immer anfechtbaren und dabei als zu wenig präsent beschimpften Berufsgruppe glänzend auf. Das ist die Publikumskonzentration nämlich noch frisch, nicht überfüttert und deshalb aufmerksam. Diese Neugier verringert sich allerdings etwas, bis das Ensemble sich am Ende wie beim Heiligen Rosenkranz wieder auf die Anfangslitanei einschießt. Baldrian für Katzenzungen.
Keine realistische Empörungsaufstellung
Lotz ließ kaum eines der naheliegenden, sich universell anbietenden Wort- und Themenfelder unberücksichtigt: Die Nahrung, das Reisen, das Wohnen, das Inkognito, erotische Leibesübungen und natürlich sogar den (Un-)Sinn, welche eine gute oder nicht ganz so gute Politik ausmachen. Wuga und Kaip beabsichtigten keine realistische Empörungsaufstellung. Sie negieren auch das zynisch Kabarettische, zu dem Lotz‘ strammer Text herausfordern könnte. Die Spielenden vollbringen imponierende Geschwindigkeitsakkumulationen und geraten trotzdem nicht außer Puste. Augen leuchten und zwischen manchen Sätzen flackern mimische Leuchtraketen – hier ein provokatives Lächeln, dort eine gehaltene Pose, eine süffisante Geste oder eine lässige Herablassung. Es fehlen nur noch die Schnurrhaare.
Lotz ermöglicht das alles, na klar. Dabei ist das Textfutter für dieses Sprechtheater von der Regie fast etwas zu sorglos gestreut, gehen in den Wortgeschossen die echte Pointe neben der Zote, Lotz‘ mutmaßliche Distinktion neben den immer lustvoll ausgekosteten Bonmots etwas unter. Dem Publikum gefällt eindeutig, was das Ensemble alles mit Schnäuzchen, Beinen, Armen, Augen und Textlust zustande brachte: Theatersport ohne Interaktionsdruck.