Foto: © Nilz Böhme
Text:Gunnar Decker, am 24. März 2024
Das Theater der Altmark in Stendal bringt das Mehrspartenprojekt „Eine Sommernacht“ als eine Mischung aus Gesang und Spiel auf die Bühne. Die Inszenierung von Jochen Gehle könnte kitschig sein, schafft es aber, poetisch zu bleiben.
Es gibt ein Rot, das hat dieses verdächtig helle Leuchten, dem man sofort misstraut. Es verspricht etwas, das es nicht halten wird. So viel Rot erträgt das wirkliche Leben nicht. Helenas Kleid ist von diesem Rot, ebenso der Vorhang, der sich vor einer gemalten Straßenszene mit Menschen bei Regen öffnet und schließt.
Ein Traum von einer Sommernacht im Hier und Heute, wenn man nicht mehr ganz jung ist, sondern fünfunddreißig Jahre alt, und die alltäglichen Probleme mit Körper und Seele anfangen sich vor einem aufzutürmen. Das ist jenes Datum, mit dem auch die Vorsorgeuntersuchungen beginnen. Bob hat soeben die erste Einladung zum „Männer-Tüff“ bekommen. Kein Wunder, dass er da die Zukunft, die Abstieg und Verfall verheißt, gegen den Blick in eine knallrote Bonbonschachtel einzutauschen bereit ist. Und sei es für eine Nacht. Es steht zu befürchten, dass er und sie hier Sehnsucht mit Hysterie verwechseln, wenn das Paar, das vielleicht eins und vielleicht keins werden wird, zusammen singt: „Liebe bricht dein Herz / Liebe bricht dein Herz entzwei / Liebe bricht dein Herz / Was du machst, ist einerlei.“ Nun ja, das klingt nach einem rücksichtslos das Sentimentale bedienenden Abend, wo alle Poesie dem falschen Zauber der Revue geopfert werden wird.
Musikalischer Abend
Die Gefahr besteht bei diesem szenischen Reigen von Song zu Song (Live-Musik: Niclas Ramdohr). Das Publikum jedenfalls wirft sich bereits in Mitmachpose. Wie in Shakespeares „Sommernachtstraum“ sind sie beide von einer Liebeswut getrieben, die dann doch nicht mehr als bloße Sexgier zu sein scheint. Danach herrschen Frustration und Rauschfolgen. Wie soll Helena so glaubhaft als Brautjungfer der Hochzeit ihrer Schwester am nächsten Morgen assistieren? Gar nicht. Peinlichkeiten sind unausweichlich.
Fynn Zinapold und Alexandra Sagurna als Bob und Helena. Foto: Nilz Böhme
Und doch passiert etwas so nicht Erwartetes bei diesem mal tänzelnden, mal kriechenden Gang durch zwei regnerische Nächte, einen Tag und einen Morgen: die Poesie behauptet sich gegen alle falschen Versuchungen des Kitsches. Liegt das am Text von David Greig und der Komposition von Gordon McIntyre, den beiden das Genre der romantischen Zweierbeziehung in disparaten Zeiten erkundenden Briten? Nur zum Teil.
Romanze auf Zeit
Eine fragile Fabel auf der Grenze zur Farce, daraus machten einst Robert Redford und Jane Fonda in „Barfuß im Park“ ihre ganz eigene Geschichte. Hier ist es Alexandra Sagurna als Helena, die von ihrem Verhältnis, einem verheirateten Mann, versetzt, in einer Bar landet. Dort trifft sie auf Fynn Zinapold als Bob, einem auf seinen nächsten Auftrag wartenden Kleinganoven, der in einem – wie es heißt – feuchten Exemplar (Dauerregen draußen) von Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“ liest, den er jedoch nicht ausstehen kann. Sein bestes Jahr habe er 1997 gehabt, danach sei es kontinuierlich mit ihm bergab gegangen. Helena, „ganz Parfüm und Contenance“, betritt die Bar und sucht jemanden, der ihr hilft, die Flasche Wein, die sie bestellt hat, auszutrinken. Welch ideales Paar auf Zeit, vereint in latenter Panik, die eigene Zukunft betreffend.
Die Inszenierung von Jochen Gehle gibt nicht vor, ganz in der Handlung aufzugehen und stellt ihre Skizzenhaftigkeit geradezu aus. Szenenanweisungen werden ganz selbstverständlich mitgesprochen, man schaut sich gleichsam von außen zu. Beide sprechen – und singen – dann auch weniger zueinander als frontal ins Publikum, wozu sie sich vor zwei Mikrofone stellen, als würde hier ein drittklassiger Talentwettbewerb stattfinden.
Knapp am Kitsch vorbei
Diese spröde Dramaturgie ist für die immer unter Kitschverdacht stehende „Sommernacht“ die Rettung. Doch dass der Abend dann geradezu abhebt, liegt an der Intensität des Spiels von Alexandra Sagurna (auch stimmlich von großer Ausdruckskraft) und Fynn Zinapold, die diese beiden verlorenen Seelen zum idealen Nicht-Paar zu machen verstehen. Die Sing-Spiel-Szenen verwandeln sie (britischer als die Stückvorlage) in hinreißend kalte Ekstasen.
So lebt der Liebes-Traum eines regnerischen Sommers inmitten all der verlorenen Illusionen weiter, die diese beiden von Stadtneurosen Getriebenen überall hin mit sich tragen. Und das auf überaus inspirierte Weise.