Foto: Katja Bildt (Fricka), Albert Pesendorfer (Wotan) und Laura Nielsen (Freia) © Lutz Edelhoff
Text:Roberto Becker, am 24. März 2024
Am Theater Erfurt schmiedet Jürgen R. Weber einen „Ring” der besonderen Art. Schade nur, dass es wie offiziell begründet wegen der schwierigen finanziellen Lage am Haus keine Fortsetzung geben wird.
Es gibt längst ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten, um einen Nibelungen-Ring szenisch neu zu schmieden. Fragmentarisch in kontrastierende Einzelteile zerlegt oder als durcherzählte Geschichte. Eine, die im Jahrhundert Wagners angesiedelt ist, das kapitalistische Zeitalter illustriert, seziert und kritisiert. Oder als Kommentar zur Gegenwart; als Bestandsaufnahme der komplexen Folgen von Dominanz menschlicher Gier und der Herrschaft des Geldes für Mensch und Natur.
Sie lässt sich aber auch ins Postkatastrophische fortschreiben. Oder wie bei bei Frank Castorf als eine Geschichte vom Verlust aller Utopien in verschiedenen Teilen der Welt und historischen Epochen vier Mal separat ansetzen und dann doch zu einem Ganzen fügen.
Nach dem das Theater Erfurt angekündigt hat, wegen einer „schwieriger finanziellen Lage“ nach dem „Rheingold“ auf die weiteren Teile der Tetralogie vorerst zu verzichten, wird es mit dem Erfurter „Ring“ als Ganzem wohl nichts werden. Was natürlich nicht nur am Geld, sondern auch an den öffentlichen Auseinandersetzungen um den Langzeitintendanten Guy Montavon liegen dürfte.
Der Vorabend: eigensinnig und originell
Nach diesem „Rheingold“ wäre man freilich gespannt darauf, wie Jürgen R. Weber (Regie), Hank Irwin Kittel (Bühne), Tristan Jaspersen (Kostüme), Gretchen fan Weber (Video) und Arne Langer (Dramaturgie) die Kurve über „Walküre“ und „Siegfried“ bis zur „Götterdämmerung“ gekriegt hätten. Freilich auch, ob man dem genauso zwischen verblüfft, fasziniert und amüsiert hätte folgen können, wie es beim „Rheingold“ der Fall ist.
Da es hier noch vor den ersten Klängen aus dem Graben bzw. vom Rheingrund eine historisch knisternde Einspielung des Götterdämmerungsfinales aus dem Off gibt, Wotan über die Bühne stapft und Alberich sich an der Rampe ausstreckt, durfte man auf eine durchgezählte Geschichte spekulieren. Der Vorabend jedenfalls ist eigensinnig und originell. In Erfurt fahren sie nämlich wie die Geisterfahrer gegen den Strom der gängigen Interpretationen Richtung Gegenwart und Zukunft. Weber und Co. steuern mit Verve genau in die andere Richtung!
Sie kommen bei ihrer Zeitreise in einer Gegend an, die mit ihren archaischen Stelen nach Stonehage aussieht, und in der die Himmelsscheibe von Nebra genauso ein Schmuckstück des Schatzes von (und des Lösegeldes für) Alberich ist, wie ein „richtiger“ Tarnhelm. Wo Wotans Raben in dessen Gefolge immer mitmarschieren und die Göttersippschaft überhaupt einer Versammlung von Schamanen gleicht.
Geheimnisvolle Stehlen und ausgerissene Augen
Urmutter Erda (Rose Naggar-Tremblay) wiederum wartet bei ihrem mahnenden Auftritt mit deutlich mehr als nur zwei Beinen und zwei Armen auf. Freia (Laura Nielsen) ist mit einer Kreation aus Baum-Geäst geschmückt und die Äpfel, die die ewige Jungend der Götter sichern, hat sie als Trauben von Augäpfeln an ihrem Gürtel. Im Video reißt sich Wotan sein Auge ziemlich brutal selbst heraus, dafür schwebt dieses Auge Gottes im All über Stonhage. So wie jenes rätselhafte Gebilde, das einer Riesenmutter (oder einer antiken Raumstation) ähnelt. Zur Walhall-Musik dann senkt sich eine horizontale Stehle über die Szene, die genauso geheimnisvoll leuchtet, wie die aufrecht stehenden Stehlen.
Im Rhein wird das Riff zur opulenten Steilwand für die Rheintöchter (Tremblay Candela Gotelli, Daniela Gerstenmeyer, Valeria Mudra), die Alberich (vital und wendig: Máté Sólyom-Nagy) so lange necken, bis der mit dem geraubten Gold in Form eines Riesenphallus von dannen zieht. Sein Nibelheim gleicht mit mehreren Kammern einer gespenstischen Fratze, auf der es von Würmern nur so wimmelt. Herrscht hier und beim Ausreißen des Auges noch Ekelgefahr, ist Wotans selten so zu sehende Brutalität dann eindeutig Theater.
Märchenhaft surreale Ästhetik
Wenn er etwa Alberich dessen Schatz als Lösegeld abnimmt und beim Ring, den der partout nicht herausrücken will, gleich dessen Arm abreißt, freilich ohne, dass das diesen Alberich irgendwie sichtbar am Fluchen und Fliehen hindern würde. Der Regisseur sprach im Vorfeld von seinem Ehrgeiz, texttreu zu inszenieren. Wenn man das durch fantasietreu ersetzten würde, träfe es besser. Er sucht nicht nach psychologisierenden Erklärungsmustern (nebst ausgeklügelter Personenregie), sondern setzt voll auf eine märchenhaft surreale Ästhetik. Und es ist genau diese Opulenz einer entgrenzten Fantasie der Bilder, mit der dieses „Rheingold“ dann doch fasziniert.
Im Graben wurde das Philharmonisches Orchester Erfurt mit Musikern der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach auf Wagnermaß aufgerüstet und Pedro Halffter am Pult macht daraus ein eindrucksvolles Ganzes. Inklusive der sogar sichtbaren, hell klingenden Nibelungenhämmer. Die Besetzung ist durchweg hervorragend. Bei den Göttern ragt Albert Pesendorfers Wotan standesgemäß heraus. Alik Abdukayumov und Tristan Blanchet beeindrucken als Donner und Froh, Sam Taskinen und Kakhaber Shavidze als Fasolt und Fafner so wie Brett Sprague als geschmeidiger Luftikus Loge und Ewandro Stenzowski Mime.
Es ist ein überzeugendes Ringensemble. Das ja nun leider nur ein exzellentes Rheingold-Ensemble bleiben dürfte.