Foto: Schlussbild mit (v.l.n.r.): Mitja Over (Acamas), Anna Kubin (Phädra), Andreas Vögler (Panopeus), Sebastian Kuschmann (Theseus), Miguel Klein Medina (Demophon). © Jessica Schäfer
Text:Andreas Falentin, am 16. März 2024
Regisseur Max Lindemann erkennt am Schauspiel Frankfurt genau die Stärken und Schwächen von Nino Haratischwilis Stück „Phädra, in Flammen“. Das Ergebnis: Menschendarstellung auf der Theaterbühne.
„Phädra, in Flammen“ ist viel. Natürlich eine Antikenüberschreibung, nicht nur inhaltlich, sondern auch bezüglich Figurenzeichnung und Dialogstruktur. Es ist ein politisches Stück, weil es auf Ereignisse rekurriert, die sich 2021 in Georgien abspielten, dem Heimatland der Autorin, etwa extreme LGBTIQA+-feindliche Haltungen von rechtsextremer Politik und orthodoxer Kirche. Es ist ein Gesellschaftspanorama aus einer patriarchalen Welt: Die Männer handeln und haben Macht, die Frauen haben die Männer und viel Zeit.
Es geht um Gewinne und Verluste, nicht um Gefühle. Wie nah ist uns das im 21. Jahrhundert! Dieses erschreckende Erkenntnis ist ein großer Pluspunkt bei der Frankfurter Inszenierung. Und es gibt eine Liebesgeschichte zwischen Phädra, der Königin, und Persea, die den Thronfolger heiraten soll. Zwei Ausgeschlossene in Macht-Dingen, die sich gegenseitig halten und Persea kann nicht mehr loslassen.
Verlassen auf das Wort
Max Lindemann verlässt sich in seiner Debüt-Inszenierung am Schauspiel Frankfurt vor allem auf das Wort. Der Text enthält keine Dopplungen oder Redundanzen. Er erzählt klar. Da, wo die Autorin bedeuten will, wo sie deutlich dem Inhalt und den Figuren eine Richtung gibt, hat der Regisseur gestrichen, etwa den kompletten Epilog. Die Distanz und das Geheimnis des Textes hat Lindemann auch verstärkt durch die extravaganten Kostüm-Schnitte von Eleonore Carriére.
Signe Raunkjær Holm baut die kleine Bühne der Kammerspiele zur Spielfläche um. Zu Beginn des Spiels fahren die Proszeniumspfosten zur Seite weg, plötzlich sehen wir alles, nicht nur auf der kreisrunden Spielfläche, sondern auch drumherum: Abgänge, Wege zum Auftritt. Die durchaus prächtige Dekoration auf der kleinen Bühne – Blumen, ein Auto, ein Vorhang – verdeckt nicht, sie verstärkt.
Schon den Eingangsmonolog von Phaedra hören wir sozusagen verstärkt, Anna Kubin spricht ihn hart, fast aggressiv, aber schmerzhaft nach innen gerichtet. Da ist jemand schon am Anfang unten angekommen. Alles scheint statisch zu sein in diesem Text: das Gespräch mit Theseus, dem König, – ein Duell mit feinen Klingen, wie alle Dialoge hier – klingt, als würde es, in ähnlicher Form täglich performt. Erst wenn Persea die Bühne betritt, kommt alles in Bewegung. Aber der König und der Thronfolger scheinen von dieser Dynamik nichts zu bemerken.
Das Liebespaar (v.l.n.r.): Phädra (Anna Kubin) und Persea (Lotte Schubert)
Viele kleine Dinge sind zu beobachten, weil die Konstellation stimmt, weil die Schauspielerinnen und Schauspieler wirklich miteinander spielen, die Stimmung flexibel halten, auf den Text hören und ihn gestalten. Sebastian Kuschmann gewinnt dem sehr homogen geschriebenen Theseus leise Töne ab, Lotte Schubert schenkt der Persea ein Geheimnis, wir glauben ihr diese eigentlich zu gute Figur. Mitja Over präsentiert als zweiter Sohn Acamas distanziert seine Jugend, Miguel Klein Median macht deutlich, dass der Thronfolger die lächerlichste Figur in diesem Spiel ist, den keiner mag und jeder mögen muss. Er weiß das und weiß es auch wieder nicht. Anna Kubin als Phaedra und Andreas Vögler als Hohepriester Panopeus sind die extremsten Figuren. Sie sind – Schauspieler, Figuren, die bewusst Figuren spielen. Sie duellieren sich ohne Waffen und bewusst vor Publikum. Wenn Panopeus über Perseas Tod berichtet, tut er das wie ein Sportreporter.
Was diese Aufführung stark macht, ist die Menschendarstellung, über Distanzen hinweg. Wir erkennen uns wieder.