Foto: David Alonso und Katarzyna Kluczna in „Hanf“ an den Uckermärdkischen Bühnen Schwedt © Udo Krause
Text:Gunnar Decker, am 9. März 2024
Es ist erlaubt, unter Umständen: Immer wieder wird in Deutschland laut über Hanf diskutiert. Auch die Uckermärkischen Bühnen Schwedt beteiligen sich an der Debatte – mit einem Musical voller Dorfintrigen und viel Humor.
Es grünt so grün … wenn welche Blüten blühen? Die Bühne in Schwedt ist umblättert von langfingrigen grün-blauen Gebilden. Eine Reihe Glühbirnen leuchtet mal gelb, mal rot (Ausstattung: Anke Fischer). Sind wir hier in Hermann Hesses „Magischem Theater“ aus dem „Steppenwolf“ geraten, wo sich Mozart von einem Moment zum anderen in den Saxophonisten Pablo verwandelt? Im Rausch verwechselt man Hanf schnell mal mit Gingko, bekanntlich Goethes Lieblingspflanze. Im Rausch pfeift man auf die feinen Differenzen. Macht das im Hanf (Cannabis) enthaltene THC (Tetrahydrocannabiol), eine „psychoaktive Substanz“, nun eher hellsichtig oder blind, auf leichte Weise heiter oder auf verdüsterte stumpf?
Je nachdem, das zeigt das Musical „Hanf. Ein berauschender Abend“ von Tom van Hasselt, das hier an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt in der Regie von André Nicke zur Uraufführung kommt. Kein Rausch ist berechenbar, denn er reicht bis tief ins Unbewusste. Das hat er mit dem Traum gemeinsam. So spielt dieser Abend mit den Ambivalenzen, die mit Hanf seit je verbunden sind.
Das Musical „Hanf“ in Schwedt verzichtet natürlich nicht auf psychedelische Szenen. Foto: Udo Krause
Einige Gedanken zu Hanf
So ein Hanf-Musical steht einerseits in der Gefahr, zum Urania-Vortrag über Nutzen und Nachteil von Cannabis unter kulturgeschichtlichen Aspekten zu mutieren und andererseits in eine bloße Kiffer-Show abzugleiten. Da darf man es als gutes Omen nehmen, wenn gleich am Anfang ein Dinosaurier auftritt – sozusagen als psychedelische weiße Maus, die das THC-Element des Hanfs verkörpert.
Der Dinosaurier ist ausgestorben, die menschliche Kultur aber baute auf Hanf – wie die Hanf-Enthusiasten sagen. Aber dann kamen in den 1930er-Jahren in den USA die Puritaner in Machtposition und brandmarkten Cannabis als gefährliche Psychodroge. Dabei hat sie – anders als Alkohol – durchaus eine antiideologische Wirkung. Sie ist und bleibt unberechenbar, denn sie macht sanftmütig oder aggressiv, aber verweigert sich jedem äußerem Auftrag. Der Kiffer lebt in seiner eigener Welt.
Das Musical in Schwedt zeigt eine kleine Dorfgemeinschaft voller Intrigen. Foto: Udo Krause
Intrigen und Familienliebe in Schwedt
Paffke mutiert zum „Hanfmilchmann“ des Dorfes, alle um ihn herum fühlen sich plötzlich ungewohnt gut. Kann das andauern? Auf Drogen seine Existenz zu bauen, ist heikel. Denn Ausnüchterung droht. Missgunst und Intrigen wollen Paffke ein schnödes Ende als Mini-Dealer bereiten, aber er hat auch Fans und seine bis eben hyperkorrekte Ex-Freundin Sabine (Antonia Schwingel) entdeckt plötzlich: „Ich bin böse!“ Da steht dann dem Paar ein Comeback bevor, das weder der dörfliche Immobilienhai (Janik Oelsch) noch der Polizeimeister Kaczinsky (Katarzyna Klucna) verhindern können. Zumal Paffke seine Oma (Ines Venus Heinrich) mit uralter Kifferweisheit schützend zur Seite steht.
Nach einem Höllenritt durch den musikalischen Stilmix von „Hanf“ endet der Abend folgerichtig im von Mary Jane, der Heiligen aller Kiffer, beschützten THC-Himmel und das Schöne daran ist: Man findet das plötzlich völlig normal.
Die Inszenierung in Schwedt schafft es immer wieder, die richtige Energie zu finden. Foto: Udo Krause
Musical auf dem High
Der Text von „Hanf“ besitzt, nüchtern betrachtet, gehöriges Kitschpotential. Nach dem Motto eines forciert schmachtenden Songs: Mein Herz? Dein Herz? Ein Herz! Dass es dieses Potential glücklicherweise nicht entfaltet, liegt an der Spielenergie der fünf Darstellerinnen und Darsteller. André Nickes treibt sie hochtourig über jede Versuchung zur peinlichen Plattheit hinweg. Er schafft damit ironische Distanzen, die dieses Hanf-Opus rund um Chris Paffke (David Alonso) zu einer Gratwanderung aus musikalischem Kabarett und ungenierter Zuschaueranimation werden lässt. Dessen Motto: „Hanf kanns!“
Der Joint ist auf dem Dorf längst angekommen, während man in der Hauptstadt noch immer darüber streitet, ob man ihn nun (ungestraft) rauchen darf oder nicht. Das Leben scheint wieder mal weiter als das Sprechen darüber, da sagt uns dieser Abend nichts Neues. Aber wie die fünf Hanf-Figuren zusammen mit drei Live-Musikern Realität und Traum in ein surreales Sing-Spiel verwandeln, das frappiert durch Intensität. Ein Musical, wenn es gelingt, ist eben immer mehr als die Summe aus Handlung und Liederabfolge: ein Sog aus Aberwitz und Angerührt-Sein. Oder sollte man von Rausch sprechen? Das inspirierte Schwedter Ensemble verströmt an diesem Abend einen Spirit von kollektiver Selbststeigerung, den man anderswo vergeblich sucht.