Foto: Ensemble des Staatstheaters Oldenburg in „The Crash“ © Stephan Walzl
Text:Christoph Schulte im Walde, am 10. Februar 2024
Finanzjongleure, Wettkönige, Spekulanten und Betreiber von Geschäften ähnlicher Art leben, so scheint es, schon längst in einer Parallelwelt. Doch das Geschäftsgebaren in dieser Welt hat globale Auswirkungen auf konkrete Menschen, wie „The Crash“, die neue Oper von Russell Hepplewhite am Staatstheater in Oldenburg zeigt.
Diese Bilder gingen um die Welt: Horden von Menschen strömen mit entsetztem Gesichtsausdruck und vollgepackten Umzugskartons in ihren Händen aus dem bis dato so vermeintlich ehrenhaften Haus in New York. Über dem Eingang prangt: „Lehman Brother‘s Holdings Inc.“. Bei der Uraufführung von „The Crash“ am Staatstheater Oldenburg ist nun zu lesen: „Centurion Securities“ – gemeint ist derselbe Verein, der im Herbst 2008 die weltweite Finanzkrise ausgelöst hat. Auch auf der Opernbühne versucht man nun an Habseligkeiten zu retten, was zu retten ist. Und womöglich Beweise zu vernichten.
Musiktheater über die Börse
Charlie ist ein vermeintlicher Möbelpacker, von dem Wertpapierhändler Peter Zilko beauftragt, Laptop und Aktenordner wegzuschaffen. Dumm nur, dass er des nachts auf zwei Putzfrauen stößt, die bereits mit Interesse das brisante Material sichten. Der Möbelpacker outet sich als Detektiv in Doppelfunktion. Beauftragt wurde er nicht nur von Peter Zilko, dem Börsenspekulanten, sondern auch von der Anwältin der Bank – also der Gegenseite, die Zilko als Schuldigen dingfest machen will. Nun ja, Charlie bekäme ein sattes Honorar für seine „Aufräumarbeiten“ im 40. Stock des Büro-Towers … womit wir wieder beim Thema Geld wären.
Geld regiert die Welt – diese schnöde Einsicht steht auch am Ende von „The Crash“. Es geht aber nicht nur um die Welt der Reichen und Skrupellosen, sondern auch um diejenigen, die am unteren Ende der Gesellschaft stehen: Magdalena und Agata, die beiden Putzfrauen. Charlie verspricht ihnen einen Teil seiner Provision, sollten sie ihm behilflich sein. Ein schmeichelhaftes Angebot!
Es kommt aber noch besser. Zwei weitere Personen betreten die Büroetage mit schönem Blick auf die Skyline von Manhattan. Jocelyn trumpft als angebliche Sonderermittlerin auf, ist aber in Wahrheit Peter Zilkos Ex-Frau mit ausgeprägten Rachegelüsten ihm gegenüber. Und im Nachbarbüro findet sich der ob der Krise am Boden zerstörte Tom, der hauptverantwortliche Geschäftsführer mit Selbstmordabsichten.
Prophet des Kapitalismus
Aus dieser Personenkonstellation entwickelt der amerikanische Autor Seth Bockley ein Libretto. Dazu schrieb der Brite Russell Hepplewhite eine Musik von rund 145 Minuten Spieldauer, kammermusikalisch angelegt mit „nur“ neun Instrumenten. Über weite Strecken quirlige Klänge, die das betriebsame Geschehen kommentieren, illustrieren, unterstützen, oft extrem angelegt durch gleichzeitigen Einsatz hoher und tiefer Instrumente (etwa Violine und Kontrabass, Piccoloflöte und Bassklarinette).
Viel, sehr viel Text ist zu transportieren. Der schildert, was der Bankencrash mit den Menschen macht. Tom, an seinem Selbstmord gehindert, verrät den beiden Putzfrauen Belastendes über Peter Zilko und seine Ex-Frau. Eine willkommene Gelegenheit für Magdalena und Agata, die beiden zu erpressen. Mit dem exorbitanten Schweigegeld beteiligen sie sich in Florida am Neubau von Schrott-Immobilien („New Atlantis“) und lassen es sich gut gehen. Doch dann tauchen Peter und Jocelyn inkognito dort auf, ihrerseits zwei Wohnungen kaufend.
Sie wissen, dass ein herannahender Hurrikan bald alles platt machen wird. Bewusste Spekulation auf die Vernichtung dessen, worin sie soeben investieren! Die Versicherung wird‘s schon zahlen. Leider nicht für Agata: ihre Flucht auf einem Boot scheitert in den aufgepeitschten Fluten des Ozeans. Alle hätten es besser wissen können, denn der nun obdachlos gewordene Tom tritt in Gestalt eines Unheilspropheten (optisch könnte es auch Karl Marx sein) auf, der die bevorstehende Katastrophe ankündigt. Aber wer will ihn schon hören? Schließlich hat immer schon gegolten: aus dem Unglück anderer kann man Kapital schlagen!
Großer Erfolg für Oldenburg
Glück hat das Staatstheater Oldenburg mit dem Solist:innenensemble, das ausnahmslos großartig singt und spielt: Martha Eason und Marie-Sophie Janke geben mit kraftvoll-kernigem Sopran und augenzwinkender Gestik das Putzfrauen-Duo. Paola Leoci tritt ebenso selbst- wie machtbewusst in die Szene. Gabe Clarke schwingt sich mühelos hinauf in höchste Tenor-Höhen und zeigt den Peter Zilko in all seiner Nervosität. Ryan Stoll, ein Bass mit Riesenvolumen, schlüpft in die Rolle des Möbelpackers. Paul Brady schließlich lässt erst Toms Ängste glaubwürdig erfahrbar werden, dann verleiht er als Prophet seinen Worten machtvoll Gewicht. Giuseppe Barile, Kapellmeister am Oldenburger Haus, hält am Pult des famosen Kammerensembles die Fäden der nicht unkomplizierten Partitur perfekt zusammen. Ein großer Erfolg für das gesamte Team!