In Chaya Czernowins Kammeroper „Pnima…ins Innere“ verschlägt es den Figuren, den Nachkommen der Shoa-Überlebenden, angesichts dessen gar die Stimme. Was sie artikulieren können, sind nur noch einzelne Konsonanten und Vokale. Das Sprechen über die Gräuel scheint unmöglich geworden zu sein. Umso mehr muss die Musik (Musikalische Leitung: Richard Schwennicke) die beklemmende Leere füllen. Insbesondere mit Streichern, Percussion und wenigen Blechbläsern wird eine dauerhafte Stimmung des Unbehagens erzeugt. Schief, eruptiv, bisweilen schmerzhaft verzerrt muten die Tonstrecken an, die sich nicht zu einem formen dürfen: einer Melodie. Denn wo nur noch menschliche Ruinen gegenwärtig sind, darf kein falscher klanglicher Zusammenhang aufschimmern.
Abgetrennte Szenen
Diese Absage gilt auch für eine Handlung. Statt ihrer sind wir mit abgetrennten Szenen konfrontiert. So setzt das Spiel mit einem großen Bild von Clubtänzern ein, das wohl auf den Terrorbeginn am 7. Oktober letzteren Jahres in Israel verweist, Regisseur und Intendant Karsten Wiegand lässt zunächst eine Frau ziellos über die große Bühne gehen. Was oder wen sucht sie? Ihre Erinnerungen? Kurz darauf windet sich eine andere Darstellerin aus einem überdimensionalen, weißen Leintuch hervor. Mal schmiegt sie sich an, mal versucht sie, darin Halt zu finden, um schließlich davon verschlungen zu werden. Es ist eines der wenigen klaren Bilder des Abends, eines, das unmittelbar veranschaulicht, wie rasch wir von dem, was wir buchstäblich unter den Teppich kehren, wieder heimgesucht werden.
Konkreter wird die Inszenierung nicht, keine Szene referiert deutlich auf den Holocaust. Wüsste man nicht durch das Programm oder das Libretto, worum es geht, könnte man sämtliche Darstellungen für beliebig halten. Vor allem, weil Wiegand kryptische Bilder entwirft. So etwa bei einem Tafeldinner. Alt und jung kommen an einem langen Tisch zusammen. Kurz darauf nähert sich offenbar der Veranstalter der gemeinsamen Speise einer anderen Frau, bevor er sie schon im nächsten Moment von sich stößt. Derweil fällt ein Gast vom Stuhl und kauert auf dem Boden. Wiederum andere bewerfen sich mit Brot. Wie soll man wohl diese Interaktionen dechiffrieren? Als Ironisierung des friedensstiftenden Abendmahls Jesu? Als Ausdruck des Zerfalls aller zivilisatorischen Werte? Als Entfremdung im Umgang mit dem historischen Erbe?
Diffus-latente Bedrohungsatmosphäre
Als noch bizarrer erweisen sich die Szenen am Ende der Aufführung. Etwa wenn verschiedene Figuren auf verstreuten Stühlen Platz nehmen und dem Gelächter der Statisten im großen Zuschauerraum vor dem Parkett (das eigentliche Publikum sitzt an der hinteren Wand der großen Bühne) ausgesetzt sind. Dass die leeren Stuhlreihen zuvor die Abwesenheit der Opfer, ja, ihre brutale Auslöschung repräsentieren, versteht man. Die Spottepisode verursacht allerdings Grübeln, genauso wie die akrobatischen Verrenkungen der Umherirrenden zu Beginn des Stücks auf einem Stuhl, womit die Inszenierung zum Schluss kommt.
Nun könnte man gegen den Vorwurf, die Regie würde sich zu sehr auf eine hermetische Zeichensprache fixieren, einwenden, dass diese Entscheidung ja nur konsequent sei. Zumal sie schlichtweg die kommunikativen Hemmnisse unter den Protagonisten unterstreiche. Doch damit macht es sich Wiegand zu leicht. Außer einer diffus-latenten Bedrohungsatmosphäre überträgt sich wenig. Theater muss nicht deutbar sein. Aber hier feiert es sich und seine selbstreferenzielle Intelligenz. Dem moralischen sowie politischen Anliegen des Stücks hat man damit leider keinen Gefallen getan.